Zu wenig Interesse an Ausbildung – Generation NEETs fehlt dem Arbeitsmarkt

Gemeinsame Presseinformation zum Dortmunder Ausbildungsmarkt 2022/2023

14.11.2023 | Presseinfo Nr. 58

Dortmund, 14.11.2023 – Dortmund braucht dringender denn je Fachkräfte. Ein gut funktionierender Ausbildungsmarkt mit bestmöglichen Chancen für Jugendliche, verbunden mit einer größtmöglichen Zahl an Fachkräften, die aus Ausbildung hervorgehen, ist daher fundamental wichtig. Die Realität: Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge liegt trotz eines Minizuwachses in diesem Jahr nach wie vor unter dem Level vor Corona. Es gibt aktuell viele unbesetzte Ausbildungsstellen und es fehlen die Bewerberinnen und Bewerber für Ausbildungsplätze. Eine Bilanz des Ausbildungsjahres 2022/2023 stellten Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer, DGB und Agentur für Arbeit Dortmund heute gemeinsam vor.

Die Ausbildungsbereitschaft seitens der Unternehmen ist weiterhin ungebrochen hoch. Bei allen Herausforderungen, die den aktuellen Ausbildungsmarkt prägen, hat die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge im laufenden Beratungsjahr leicht zugenommen. Der Agentur für Arbeit Dortmund wurden im abgelaufenen Ausbildungsjahr 0,8 Prozent mehr Stellen gemeldet. Sorgen bereitet allen die im dritten Jahr in Folge rückläufige Zahl der Bewerberinnen und Bewerber um eine Ausbildungsstelle. Der Wandel vom Stellen- zum Bewerberinnen und Bewerber-Markt hat sich verstetigt. Das Interesse an Ausbildung schwindet weiter, bei gleichzeitig sehr hohem Beratungsbedarf bei Jugendlichen. Die Gruppe der jungen Menschen, die sich weder in Schule noch in Beschäftigung, Ausbildung oder Studium befinden, die sogenannten NEETs (Not in Education, Employment or Training), ist mit Corona wieder angestiegen. Sie fehlen dem Ausbildungsmarkt. Die Anwerbung potenzieller Auszubildender bedarf mehr Anstrengungen und erfordert eine Menge Kreativität.

Angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftebedarfs wird sich der Wettbewerb um die besten Köpfe auch im System der beruflichen Ausbildung weiter verschärfen. Die Bewerbergewinnung bleibt dabei eine der zentralen Herausforderungen am Ausbildungsmarkt.

Diese Bilanz zogen Maike Fritzsching, Geschäftsführerin Berufliche Bildung und Fachkräftesicherung der Industrie- und Handelskammer zu Dortmund, Tobias Schmidt, Geschäftsführer bei der Handwerkskammer Dortmund, Jutta Reiter, Geschäftsführerin der DGB-Region Dortmund-Hellweg sowie Heike Bettermann, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Dortmund.

Agentur für Arbeit Dortmund
„Vor allem mit Blick auf den großen Fachkräftebedarf in Deutschland und ungeachtet von der aktuell angespannten geopolitischen und wirtschaftlichen Lage hat die Ausbildung junger Menschen in den Unternehmen und Betrieben einen sehr hohen Stellenwert. Die Ausbildungsbereitschaft von Dortmunder Unternehmen ist ungebrochen hoch. Sie investieren in Ausbildung und probieren neue Wege bei ihrer Suche nach zukünftigen Fachkräften. Es verlangt stetiges Neu- und Umdenken und immer mehr Engagement und Kreativität von Ausbilderinnen und Ausbildern, die duale Ausbildung attraktiver zu gestalten, um mehr junge Menschen für eine berufliche Ausbildung zu gewinnen. Der vorhandene Pool an Ausbildungsinteressierten ist kleiner geworden. Aber eine Alternative gibt es aufgrund der anstehenden demografischen Entwicklung nicht.

Des einen Freud ist des anderen Leid. Die Chancen auf einen Ausbildungsplatz waren für Bewerberinnen und Bewerber in diesem Jahr so gut wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Das bedeutet nur leider nicht, dass es für jede und jeden der sucht am Ende auch erfolgreich in eine Ausbildung mündet. Trotz Überhang an Ausbildungsstellen im Verhältnis zur Bewerberzahl sind die Passungsprobleme nicht kleiner geworden. Es ist zunehmend herausfordernder geworden, Ausbildungssuchende und Betriebe zusammenzubringen. Um hier nachhaltig Erfolge zu erzielen, braucht es mehr Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten.
Uns ist es wichtig dabei, dass alle jungen Menschen, die sich für eine berufliche Ausbildung interessieren, auch eine Chance dazu erhalten. Wir brauchen jeden einzelnen, niemand darf verloren gehen. Unsere Berufsberaterinnen und Berater lassen die Jugendlichen dabei nicht allein. Es gibt seit Jahren erfolgreiche Angebote wie die Assistierte Ausbildung, die von der Nachhilfe für Azubis bis hin zu einem begleitenden Coaching gute Angebote der Unterstützung für die jungen Menschen und auch die Betriebe machen. Darüber hinaus müssen wir das Thema Ausbildung noch plakativer und praxisorientierter in den Schulen platzieren. Den Weg in Ausbildung ebnen können Praktika. Für den Zugang zur Ausbildung gibt es nichts besseres, als sich in einem Praktikum kennenzulernen“, kommentiert Arbeitsagenturchefin Heike Bettermann die Situation auf dem Ausbildungsmarkt.

Industrie- und Handelskammer Dortmund
„Nicht alle freien Ausbildungsstellen in Dortmund, Hamm und im Kreis Unna konnten besetzt werden. Mit knapp 4.500 neu eingetragenen Ausbildungsverträgen wird das Vorjahresniveau in etwa gehalten. Werfen wir einen Blick auf die vor der Pandemie erreichte Anzahl von 5.000 Verträgen, bedeutet dies, dass mit diesem Jahr weitere 500 Auszubildende im IHK-Bezirk fehlen. Es gibt weiterhin zu wenig passende Bewerberinnen und Bewerber. Neben dem Passungsproblem auf dem Ausbildungsmarkt ist das Image einer Ausbildung, obwohl sie unzählige Karrierechancen bietet, vor allem im Vergleich zum Studium ausbaufähig. Dabei ist die betriebliche Ausbildung weiterhin ein wichtiges Mittel, um den Fachkräftebedarf zu decken. Damit sich wieder mehr junge Menschen für eine duale Berufsausbildung entscheiden, geht die IHK-Organisation neue Wege.

Im März dieses Jahres ist die bundesweite IHK-Marketingkampagne ‚#könnenlernen’ gestartet. Auch die Ausbildungsunternehmen aus Dortmund, Hamm und dem Kreis Unna sind eingeladen mitzuwirken. Herzstück der Kampagne sind neun Auszubildende der Generation Z, die in kurzweiligen und unterhaltsamen Beiträgen ihre Erfahrungen vor, in und neben ihrer Ausbildung in den sozialen Medien, vorrangig auf TikTok, teilen. Die positive Botschaft der jungen Menschen lautet: Ausbildung macht mehr aus uns! Es geht hier um ein positives Lebensgefühl, darum etwas können zu lernen und stolz auf sich zu sein. Unsere Ausbildungsbetriebe sind wichtige Multiplikatoren, ihnen steht ein Paket an Vorlagen für ihr Azubi-Marketing zur Verfügung. Neben dieser großen Kampagne, die über mehrere Jahre angelegt ist und stetig wächst, stehen den Ausbildungsunternehmen weiterhin unsere ‚Azubi-Speed-Datings’ als Plattform zur Verfügung, potenzielle Auszubildende zu gewinnen. Auch die Azubi-Botschafter, die in den Schulen auf Augenhöhe über ihre Ausbildung berichten, entdecken immer mehr Unternehmen als geeignetes Projekt, um junge Menschen für die Ausbildung und den eigenen Betrieb zu begeistern“, sagt Maike Fritzsching, IHK-Geschäftsführerin für Berufliche Bildung und Fachkräftesicherung.

Handwerkskammer Dortmund
„Bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen in Dortmund verzeichnet das Handwerk gegenüber dem Vorjahresmonat Oktober ein leichtes Minus von 0,1 Prozent. Im gesamten Kammerbezirk konnte ein Plus von 1,4 Prozent erreicht werden. Die Ausbildungszahlen haben sich stabilisiert, bewegen sich aber auch im Handwerk noch nicht wieder auf dem Vor-Corona-Niveau.
Dabei sind die Karrierechancen im Handwerk außerordentlich gut. Es gibt sehr gute Übernahme- und Aufstiegschancen in den Berufen und die Krisen der letzten Zeit haben bewiesen, wie zukunftsfest und krisensicher das Handwerk ist. Allein im Kammerbezirk Dortmund sind derzeit mehr als die Hälfte der Handwerksunternehmen auf der Suche nach qualifiziertem Personal. Diese Situation wird sich noch weiter zuspitzen, da in den nächsten Jahren zahlreiche Fachkräfte der Baby-Boomer-Generation in Rente gehen.
Trotz allem hat das Handwerk immer noch mit einem negativen Image zu kämpfen. Dabei wird übersehen, wie modern und digitalisiert die Branche ist. Auch die Bedeutung des Handwerks als Umsetzer der Energiewende ist in der Öffentlichkeit noch nicht ausreichend bekannt. Egal ob Klimaschutz, Energie- und Mobilitätswende, nachhaltiges Bauen oder Smart Home. All diese Zukunftsaufgaben lassen sich nur mit genügend Handwerkerinnen und Handwerkern schaffen. Fest steht: Wer unsere Gesellschaft zukunftssicher machen und etwas für das Klima tun will, der ist im Handwerk genau richtig. Diese Botschaft sollten wir noch viel stärker in die Öffentlichkeit tragen.
Darüber hinaus müssen wir uns noch intensiver für die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung einsetzen. Ein Studium wird noch immer als erstrebenswerter als eine berufliche Ausbildung gesehen, das hat natürlich Einfluss auf die Wahl der Karrierewege. Dazu gehört eine intensivierte Berufsorientierung an allen Schulformen, damit junge Menschen die guten Karriereperspektiven im Handwerk kennenlernen können und verstehen, dass man nicht nur mit einem Studium Erfolg haben kann.
Ohne eine breite gesellschaftliche Akzeptanz und hohe Wertschätzung wird die berufliche Bildung weiter an Bedeutung verlieren. Es braucht mehr Informations- und Aufklärungskampagnen, um bessere Kenntnisse über die berufliche Bildung zu schaffen. Kenntnisse sind die Grundvoraussetzung für Wertschätzung“, so Tobias Schmidt, Geschäftsführer der Bildungszentren der HWK Dortmund

DGB Dortmund
„Nach wie vor fehlen Ausbildungsplätze, denn all jene junge Menschen, die im Übergangssystem gelandet sind, bräuchten wir in dualer Ausbildung. Leider haben wir es über Jahre versäumt, den jungen Menschen direkt nach der Schule eine Eintrittskarte in den Arbeitsmarkt zu geben. Dafür müssen heute alle teuer bezahlen, die duale Ausbildung scheint bei vielen abgeschrieben. Eine Ausbildungsgarantie nach Österreichischem Modell würde duale Ausbildung als direkter Übergang in die Arbeitswelt wieder selbstverständlich machen und wir könnten vielmehr Jugendliche erreichen - nicht nur die NEETs.
Die Ausbildungsgarantie des Bundes, die in Regionen mit einer sehr schlechten Ausbildungsrelation greift, kommt zehn Jahre zu spät“, sagt Jutta Reiter, Vorsitzende DGB Dortmund.

Zahlen, Daten, Hintergründe der Agentur für Arbeit Dortmund

Hoher Beratungsbedarf – weniger Interesse an Ausbildung
Vom 1. Oktober 2022 bis 30. September 2023 meldeten sich bei der Berufsberatung im Jugendberufshaus Dortmund insgesamt 3.132 junge Frauen und junge Männer, die eine duale Ausbildung suchten und dabei Unterstützung nachfragten, 416 oder 11,7 Prozent weniger als im Vorjahr. Bis Ende September haben in Dortmund davon 1.324 junge Menschen eine Ausbildung oder Erwerbstätigkeit begonnen. Andere Jugendliche entschieden sich dagegen für einen weiteren Schulbesuch, einen gemeinnützigen sozialen Freiwilligendienst oder nehmen an einer berufsvorbereitenden Fördermaßnahme der Agentur für Arbeit teil.

Der Beratungsbedarf von Jugendlichen beim Übergang von der Schule in den Beruf ist weiterhin sehr hoch. Gut 8.500 junge Dortmunder und Dortmunderinnen suchten im vergangenen Jahr Rat bei der Berufsberatung. Das sind knapp 5 Prozent mehr als im Vorjahr. Doch signalisierten weniger als die Hälfte Interesse an einer dualen Berufsausbildung. Der größere Teil entschied sich für andere Wege.

107 Bewerberinnen und Bewerber hatten Ende September weder eine Ausbildungsstelle noch eine Alternative gefunden. Doch auch nach dem offiziellen Ende des Ausbildungsjahres ist es noch möglich, in Ausbildung einzusteigen. Die Berufsberater und Beraterinnen arbeiten mit großem Engagement zusammen mit den Partnern und Partnerinnen im Ausbildungskonsens daran, auch diesen Jugendlichen noch eine berufliche Perspektive zu bieten. Es gibt für alle Ausbildungsinteressierten auch jetzt noch betriebsnahe Angebote.

Ausbildungsbereitschaft ist ungebrochen, aber mehr unbesetzte Ausbildungsstellen
Unternehmen, Betriebe, Verwaltungen und Träger meldeten im abgelaufenen Berichtsjahr 3.782 Ausbildungsplatzangebote. Dies entspricht einem leichten Plus von 31 Stellen oder 0,8 Prozent. 514 Lehrstellen waren zum Stichtag noch unbesetzt. Im vergangenen Jahr waren es 154. Dies ist mit einem Plus von 360 Plätzen fast das 2,5fache des Vorjahres. Auch ist die Anzahl derer, die am Ende des Berichtjahres noch einen Ausbildungsplatz suchten, leicht angestiegen. Besetzungsschwierigkeiten traten insbesondere in folgenden Berufen auf: Verkäufer/in im Einzelhandel, Bankkaufleute, Fachkräfte Schutz und Sicherheit sowie Anlagenmechaniker/in Sanität-/Heizung-/Klimatechnik.

Der Stellenüberhang wächst im Vergleich zum Vorjahr weiter. Auf 100 gemeldete betriebliche Ausbildungsstellen kamen 89 Bewerberinnen und Bewerber, im Vorjahr waren es 102. Vor der Corona Pandemie im Ausbildungsjahr 2018/2019 gab es einen Überhang mit 113 gemeldeten Bewerberinnen und Bewerbern auf 100 betriebliche Ausbildungsstellen.
Trotzdem werden auch zukünftig nicht alle Bewerberinnen und Bewerber einen Ausbildungsplatz in ihrem Wunschberuf finden und einige Ausbildungsplätze frei bleiben. Berufsspezifisch wird es weiterhin zu Ungleichgewichten kommen.

Kaufmännische Berufe prägen den Ausbildungsmarkt
Die meisten Ausbildungsstellen wurden im abgelaufenen Ausbildungsjahr für die Ausbildungsberufe „Verkäufer/in allgemein“, „Verkäufer/in im Einzelhandel“ und „Kauffrau oder Kaufmann im Büromanagement“ gemeldet.
Seit Jahren verändert sich die Liste der Top-Berufe bei den Ausbildungsstellen und den Wunschberufen der Bewerberinnen und Bewerber kaum. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass diese Berufe einen hohen Bedarf an Fachkräften haben und somit auch bei den Bewerberinnen und Bewerbern sehr präsent sind. Trotzdem ist es wichtig, dass die Jugendlichen auch die übrigen Ausbildungsberufe kennen lernen. Nur mit einem umfassenden Überblick über die Angebote können die Ausbildungsinteressierten den passenden Ausbildungsberuf finden. Vor allem in Zeiten eines Ausbildungsmarktes im Umbruch besteht ansonsten die Gefahr, dass sich nur noch wenige oder gar keine Bewerberinnen und Bewerber um weniger bekannte Ausbildungsberufe bemühen.