Zeit der Chancen und Zeit der Herausforderungen

Göttinger Agentur für Arbeit stellt mit IHK und HWK gemeinsam die Bilanz des Berufsberatungsjahres 2021/2022 vor.

07.11.2022 | Presseinfo Nr. 62

Göttingen. „Es ist für Ausbildungsuchende eine Zeit der Chancen. Und für Ausbildungsbetriebe ist es eine Zeit der Herausforderungen“, so fasst Klaudia Silbermann, Chefin der Agentur für Arbeit Göttingen, die Entwicklungen auf dem regionalen Ausbildungsmarkt zusammen. Gemeinsam mit Vertretern der Industrie- und Handelskammer Hannover und der Handwerkskammer Hildesheim-Südniedersachsen stellte sie am Montag die Bilanz des Berufsberatungsjahres 2021/22.

„Chancen und Herausforderungen auf dem Ausbildungsmarkt sind zwei Seiten einer Medaille. Der Ausbildungsmarkt entwickelt sich seit einigen Jahren immer stärker zum Bewerbermarkt, da Fachkräfte rar sind und für Betriebe die Nachwuchsgewinnung kontinuierlich an Bedeutung gewinnt. Das heißt: ein steigendes Angebot an Ausbildungsstellen trifft auf ein rückläufiges Bewerberinteresse. Kurzum: Unternehmen müssen sich anstrengen; Ausbildungsinteressierte können wählerischer sein. Dabei beschränken sich die Optionen der potenziellen Nachwuchskräfte nicht allein den Ausbildungsbetrieb oder den Ausbildungsberuf. Ein duales Studium, wie zum Beispiel im Öffentlichen Dienst, eine schulische Ausbildung, ein Freiwilligendienst, ein weiterführender Schulbesuch oder auch eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ohne Ausbildungsvoraussetzung sind Alternativen, für die sich auch viele Jugendliche entscheiden, die sich zunächst als Ausbildungsbewerberin oder -bewerber bei der Berufsberatung gemeldet haben.“

Die sinkenden Bewerberzahlen verschärften, so Silbermann, den Wettbewerb um talentierte Nachwuchskräfte. Dabei gehe es längst nicht mehr nur um die besten Köpfe. Viele Betriebe erhielten inzwischen kaum noch Bewerbungen. „Diese Entwicklung zeigt, wie wichtig es ist, dass wir uns um jeden einzelnen jungen Menschen bemühen und dass kein Jugendlicher am Übergang Schule - Beruf verloren geht. Ich appelliere an die Betriebe, auch motivierten Bewerberinnen und Bewerbern eine Chance zu geben, die nicht auf den ersten Blick überzeugen können. Als Arbeitsagentur können wir die Ausbildung mit unterstützenden Maßnahmen flankieren“.

Zwei Faktoren hob Silbermann hervor, die dazu führten, dass immer weniger Jugendliche für eine Ausbildung zur Verfügung stünden: Zum einen die demografische Entwicklung; zum anderen der Trend zum (Fach-) Abitur und in der Folge eine stark ausgeprägte Studierneigung.

Vielfach erscheine nach dem Abitur ein Studium als zwangsläufige berufliche Konsequenz. Und das liege zum Teil auch daran, dass es noch nicht gut genug gelungen sei, die guten Karriere- und Verdienstmöglichkeiten in vielen Ausbildungsberufen herauszustellen. Dass ein Studium nicht zwangsläufig für jede und jeden der Königsweg sei, das zeige sich auch daran, dass rund ein Drittel aller Studierenden ihre akademische Ausbildung abbrächen.

Gemeldetes Angebot und gemeldete Nachfrage am Ausbildungsmarkt

Sinkende Zahlen auf Bewerber- und steigende Werte auf Ausbildungsstellenseite haben im abgeschlossenen Berufsberatungsjahr 2021/2022 die Differenz zwischen Angebot und Nachfrage weiter ansteigen lassen: Auf hundert gemeldete Ausbildungsstellen kamen lediglich 67 Ausbildungsinteressierte. Zehn Jahre zuvor, im Berufsberatungsjahr 2012/2013, lag das Verhältnis bei 137 Ausbildungsbewerberinnen und -bewerbern zu 100 Lehrstellen.

Insgesamt meldeten Arbeitgeber vom 01. Oktober 2021 bis zum 30. September 2022 3.082 Ausbildungsstellen bei der Agentur für Arbeit Göttingen. Auf der anderen Seite suchten 2.057 Ausbildungsinteressierte mit Hilfe der Berufsberatung der Agentur für Arbeit Göttingen oder der regionalen Jobcenter eine Lehrstelle.

Am Ende des Berufsberatungsjahres waren noch 148 Ausbildungsuchende unversorgt. Das heißt, dass sie weder eine Ausbildung noch eine Alternative, wie beispielsweise einen weiterführenden Schulbesuch oder einen Freiwilligendienst, verwirklicht hatten. Auch ein vorbereitendes Förderangebot der Jobcenter oder Arbeitsagentur hatten sie bis dato nicht wahrgenommen. Gegenüber September 2021 waren zum 30.09. dieses Jahres 28 Bewerberinnen und Bewerber mehr ohne konkrete Perspektive. Demgegenüber konnten 456 Ausbildungsstellen zu diesem Zeitpunkt noch nicht besetzt werden, auch hier ein Plus von unbesetzten Lehrstellen gegenüber dem Vorjahr (+118).

Entwicklung der abgeschlossenen Ausbildungsverträge in der Region

Die Berichterstattung der Agentur für Arbeit Göttingen berücksichtigt das gemeldete Angebot und die gemeldete Nachfrage für betriebliche Ausbildungen. Sie gibt in Teilen auch einen Überblick über den Verbleib der Bewerberinnen und Bewerber. Auskunft über die Gesamtzahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge gibt jedoch in Gänze nur die Statistik des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), die die Meldungen der einzelnen Kammern zusammenführt. Diese ist vollständig erst zu Beginn des nächsten Jahres verfügbar.

Einen ersten aussagekräftigen Trend für die Region bieten allerdings die Daten der beiden großen Kammern, der Industrie- und Handelskammer Hannover (IHK) sowie der Handwerkskammer Hildesheim-Südniedersachsen.

Prof. Dr. Günter Hirth, Abteilungsleiter Berufsbildung in der IHK Hannover, erläutert die IHK-Daten: „Wir konnten die Zahl der Ausbildungsverträge aus dem letzten Jahr halten. Darüber sind wir froh, auch wenn viele unserer Betriebe nicht alle Stellen besetzen konnten. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir bis zum Jahresende noch einige Verträge eintragen werden. Denn auch nach dem Start der Ausbildungen ist immer noch Bewegung im Markt. Wer also noch einen zukunftsträchtigen Ausbildungsplatz sucht, für den ist der Zug auch für 2022 noch nicht gänzlich abgefahren! Gerade in den Logistikberufen bestehen gute Chancen, jetzt noch in die Ausbildung einzusteigen.“

Die IHK Hannover verzeichnete bis zum 30.09. dieses Jahres im Landkreis Göttingen gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 50 abgeschlossenen Ausbildungsverträgen. Allerdings sank die entsprechende Zahl im Landkreis Northeim um 46. Insgesamt konnten im Landkreis Göttingen 1.203 und im Landkreis Northeim 336 Ausbildungsverträge eingetragen werden. Dabei verzeichnete die IHK in beiden Landkreisen einen Anstieg der Ausbildungsverträge im gewerblichen Bereich. Während die Zahl der im kaufmännischen Bereich abgeschlossenen Verträge im Landkreis Göttingen ebenfalls leicht anstieg, ging hier die Zahl im Landkreis Northeim merklich zurück.

Das Südniedersächsische Handwerk verzeichnet bei den neu eingetragenen Lehrstellen ein Minus von 7 Prozent im Landkreis Göttingen und von 18 Prozent im Landkreis Northeim im Vergleich zum Vorjahr. „Von betrieblicher Seite tragen auch die hohen Energiekosten dazu bei, dass Handwerksunternehmen zurückhaltend bei der Besetzung neuer Stellen agieren“, sagt Tobias Dunkel, Abteilungsleiter Berufliche Bildung in der HWK Hildesheim-Südniedersachsen. Und weiter: „Wir hatten 2021 ein sehr hohes Niveau, was wir auch auf die landesseitige Unterstützung im Programm Entlastung Ausbildungsbetriebe zurückführen. Bei der Ausbildungsprämie haben Betriebe bis zu zehn Mitarbeitern beispielsweise eine einmalige Pauschale in Höhe von 4.000 Euro für die Besetzung mindestens eines Ausbildungsplatzes erhalten.“

In Niedersachsen sei das Landesprogramm „Entlastung Ausbildungsbetriebe“ zum 31.10. allerdings ausgelaufen und bislang gebe es keinen Nachfolger. „Wir fordern weiterhin an allen Schulformen eine verpflichtende Berufsorientierung, insbesondere auch an Gymnasien. Dazu gehört auch ein ganz klarer Praxisbezug in den Schulen, beispielsweise in Form von Werkunterricht. Während sich manche Akademiker von einer befristeten Anstellung zur nächsten hangeln, sind qualifizierte Handwerkerinnen und Handwerkern gefragt wie kaum je zuvor. Allen jungen Menschen kann ich nur raten: lieber ein erfolgreicher Geselle als ein prekärer Bachelor, lieber ein zufriedener Meister als ein gescheiterter Master“ so Dunkel abschließend.

Die Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt der Agentur für Arbeit Göttingen – Agenturbezirk und Landkreise, Stand 30.09.2022 (in Klammern jeweils Veränderungen zum Vorjahr)

Agenturbezirk GöttingenLandkreis GöttingenLandkreis Northeim
Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen3.082
(+140)
2.260
(+148)
822
(-8)
Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen456
(+118)
342
(+84)
114
(+34)
Zahl der gemeldeten Ausbildungsbewerber2.057
(-131)
1.319
(-127)
738
(-4)
Zahl der unversorgten Ausbildungsbewerber148
(+28)
89
(+14)
59
(+14)
Abgeschlossene Ausbildungsverträge in der Zuständigkeit IHK1.539
(+4)
1.203
(+50)
336
(-46)
Abgeschlossene Ausbildungsverträge in der Zuständigkeit der HWK677
(-83)
470
(-38)
207
(-45)