Hamburger Unternehmen, Privathaushalte, allgemein- und berufsbildende Schulen, öffentliche Einrichtungen: Die Corona-bedingten Einschränkungen berühren sämtliche Lebensbereiche, auch den Hamburger Ausbildungsmarkt 2020 und damit die Berufsorientierung sowie die individuelle Berufswahl junger Hamburgerinnen und Hamburger.
„Ein besonderes Ausbildungsjahr geht zu Ende, denn im Frühjahr legte der Hamburger Ausbildungsmarkt praktisch eine Vollbremsung hin: Der persönliche Kontakt zur Berufsberatung, zu den Lehrkräften und den Ausbildungsbetrieben war unterbrochen. Bewerber, Ausbildungsfirmen, Eltern und Lehrer waren verunsichert, Schul- und Betriebspraktika sowie Ausbildungsbörsen wurden abgesagt. Zeitgleich überschlugen sich bei uns die Antragszahlen auf Kurzarbeitergeld (Kug): 24.700 Betriebe, darunter auch Ausbildungsbetriebe, zeigten seit März für über 375.000 Beschäftigte Kurzarbeit an.
Vor dieser schwierigen Gesamtlage verzeichnen wir daher einen deutlichen, aber nachvollziehbaren Rückgang bei den gemeldeten Ausbildungsstellen um 1.553 oder 13,6 Prozent auf insgesamt 9.900 Lehrstellen, von denen bis Ende September 716 nicht besetzt werden konnten. Auf der Bewerberseite beobachten wir eine ähnliche Zurückhaltung und Fortsetzung des Trends aus den Vorjahren: 8.086 junge Leute suchten mit unserer Hilfe einen Ausbildungsplatz, 655 oder 7,5 Prozent weniger als im Vorjahr. 1.305 der Ausbildungsbewerber konnten u.a. aus den beschriebenen Gründen für das Jahr 2020 keinen Ausbildungsbetrieb finden. Rein rechnerisch besteht damit auf der Bewerberseite sogar ein Stellenüberhang“, skizziert Sönke Fock, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Hamburg, die besondere Gesamtlage.
Die Berufsberatung der Agentur für Arbeit in der Jugendberufsagentur informiert und berät Jugendliche deshalb verstärkt über Telefon, Videoberatung oder im Mail-Austausch. „Spezielle Online-Portale, wie etwa Check-U, Berufenet, abi.de oder aber eine Ausbildungssuche per App (AzubiWelt) unterstützen den Berufswahlprozess junger Leute. Das läuft insgesamt gut, ersetzt aber nicht das persönliche Beratungs- oder Vermittlungsgespräch. Für das laufende Ausbildungsjahr sehe ich noch größere Herausforderungen für alle Beteiligten: In Abhängigkeit vom Infektionsgeschehen wird die wirtschaftliche Entwicklung verlaufen und damit das Angebot an betrieblichen Ausbildungsstellen und Praktika. Der Bedarf an qualifizierten Fachkräften wird nach Corona auch allein schon aus demografischen Gründen unverändert groß sein. Wir sind daher alle aufgerufen, alternative Wege zu beschreiben, um Auswahlverfahren und -entscheidungen zu realisieren“, betont Fock und wirbt für die Dienstleistung seiner Berufsberaterinnen und -berater: „Jedes Gespräch / Telefonat bringt die persönliche Berufsorientierung und -wahl voran. Insgesamt stehen für den Ausbildungsbeginn Februar 2021 bereits 1.200 Lehrstellen zur Verfügung, bis zum Herbst 2021 sind uns sogar schon über 5.500 freie Ausbildungsstellen aus der Hamburger Wirtschaft gemeldet worden. Ein gutes Signal.“
Ties Rabe, Senator der Behörde für Schule und Berufsbildung: „Hamburg unterstützt junge Menschen beim Einstieg in das Berufsleben. In diesem Jahr stehen wir dabei vor großen Aufgaben. Denn die Zahl der Anfängerinnen und Anfänger in der dualen Berufsausbildung ist um ca. 12,8 Prozent auf 12.335 gesunken. Um den Schulabgängern eine gute Perspektive zu geben, haben wir deshalb die Zahl der schulischen Ausbildungsplätze - beispielsweise in den Gesundheitsberufen oder den pädagogischen Berufen - um 4,3 Prozent auf rund 5.490 Ausbildungsplätze bedarfsgerecht erhöht. Darüber hinaus haben wir 600 zusätzliche Ausbildungsplätze in der so genannten Berufsqualifizierung an den Berufsbildenden Schulen geschaffen. Für alle anderen unversorgten Bewerberinnen und Bewerber werden wir die Plätze in der Ausbildungsvorbereitung AvDual an den Berufsbildenden Schulen um bis zu 600 Plätze erhöhen. Alle jungen Menschen sollen auch in diesen schwierigen Zeiten eine gute und sichere Ausbildungsperspektive bekommen. Unsere Zusage gilt: Wir kümmern uns um jeden und jede und bleiben dran. Mein Appell richtet sich an die Unternehmen und Betriebe in Hamburg: Lassen Sie nicht locker in Ihrem Engagement für Ausbildung. Bieten Sie weiterhin freie Ausbildungsplätze und Praktika an. Hamburgs Jugendliche und junge Erwachsene brauchen eine gute Perspektive für ihre berufliche Zukunft.“
Handelskammer-Vizepräses Astrid Nissen-Schmidt: „Die Corona-Pandemie hat auch den Ausbildungsmarkt stark getroffen. Fast 15 Prozent weniger Ausbildungsverträge wurden in diesem Jahr bei unseren Mitgliedsunternehmen geschlossen. Viele Betriebe halten aber auch in der Krise an der dualen Berufsausbildung fest und suchen noch immer Auszubildende. Das ist ein großartiges Signal und wichtiger denn je, denn der Fachkräftebedarf wird nach Überwinden der Corona-Krise wieder rasant ansteigen. Wir appellieren daher an alle Ausbildungsbetriebe: Bilden Sie weiter aus. Gleichzeitig sind auch die Jugendlichen gefragt. Auch wenn dieses Jahr für die jungen Menschen von Unsicherheit geprägt war, ist der Blick nach vorne und die Beschäftigung mit der eigenen beruflichen Zukunft gerade jetzt so entscheidend.“
Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer Hamburg, betont: „Das Handwerk schloss 12 Prozent weniger Ausbildungsverträge ab. Auch uns ist es 2020 nicht ausreichend gelungen, junge Menschen zu erreichen. Deswegen, mit Blick nach vorn: Wir müssen gemeinsam eine pandemiefeste Berufsorientierung mit z.B. digitalem Pflicht-Berufsorientierungsunterricht in den Schulen und mehr Praxisprojekten in Betrieben unter Hygienebedingungen gewährleisten. Die Handwerkskammer hat ihr digitales und hybrides Angebot bereits deutlich ausgebaut. Wir beraten etwa junge Menschen, Eltern und Betriebe per Videochat und in Online-Seminaren und wir bieten z.B. Lehrern Unterrichtsmaterial für das Home Schooling an. Wenn wir die corona-bedingte Lücke in der Information, Orientierung und Vermittlung schließen, können wir die Abwärtsdynamik stoppen. Davon bin ich überzeugt. Denn: Für 2021 verzeichnen wir bereits 944 Lehrstellenangebote, davon mehr als 100 bereits mit Ausbildungsbeginn im nächsten Februar.“
Hamburgs DGB-Vorsitzende Katja Karger hebt hervor: „Auch die Gewerkschaften schauen mit Sorge auf den Ausbildungsmarkt. Die Jugendlichen brauchen Perspektiven. Es geht jetzt um jeden einzelnen Ausbildungsplatz. Dabei sind vor allem die Unternehmen gefragt. Ich appelliere an alle, ihr Ausbildungsangebot aufrecht zu erhalten. Aber Appelle sind eigentlich zu wenig: Auch in Krisenzeiten haben Unternehmen den Auftrag, Ausbildung zu ermöglichen. Auszubilden ist kein Wunschkonzert, sondern gesellschaftliche Verpflichtung. Der Bund hat den Betrieben 500 Millionen Euro als Unterstützung zur Verfügung gestellt, damit sie dieser Verpflichtung nachkommen - die müssen nun auch abgerufen und genutzt werden. Da erwarte ich mehr Anstrengungen aus der Wirtschaft. Wir reden hier schließlich über die Zukunftsperspektive junger Menschen.“
„Die duale Berufsausbildung bietet für jeden Schulabschluss einen passenden und anspruchsvollen Berufseinstieg, auch in diesen schwierigen Monaten“, darüber sind sich die fünf Hamburger Ausbildungsmarktakteure einig. Auswertungen der Agentur für Arbeit Hamburg zeigen Hamburger Unternehmen jedoch auch eine andere Herausforderung, die die Altersstruktur innerhalb der Betriebe betrifft. Demnach gibt es über 67.400 beschäftigte sozialversicherungspflichtige Fach- und Führungskräfte in Hamburger Unternehmen, die älter als 60 Jahre alt sind und in wenigen Jahren in den Ruhestand gehen. In der Alterskohorte ‚55 Jahre und älter‘ sind es insgesamt über 165.000 Beschäftigte mit entsprechender Qualifikation und langjähriger Berufserfahrung. „Der demografischen Wandel wird sicht- und greifbar und ist nur mit einer maximalen Ausbildungsbereitschaft Hamburger Unternehmen zu bewältigen.“
Ausbildungsbilanzen der Hamburger Ausbildungspartner im Jahr 2020 (Jeder Partner zeichnet für seine Zahlen verantwortlich.):
Agentur für Arbeit Hamburg | 2020 | 2019 |
| 9.900 716 8.086 1.305 5.500 | 11.453 248 8.741 1.081 6.200 |
Handelskammer Hamburg | ||
| 7.476 1.383 | 8.791 2.112 |
Handwerkskammer Hamburg | ||
| 2.382 944 | 2.706 1.042 |
Hamburger Institut für Berufliche Bildung | ||
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Grafik: Demografischer Wandel in Hamburger Betrieben
Alter | Insgesamt | davon Helfer | davon Fachkraft | davon Spezialist | davon Experte | davon ohne Angabe | gesamt |
insgesaamt | 1.013.760 | 121.032 | 524.786 | 177.141 | 189.233 | 1.568 | |
55 Jahre und älter | 190.150 | 24.876 | 99.379 | 31.820 | 33.853 | 222 | 165.052 |
darunter 60 Jahre und älter | 78.270 | 10.772 | 40.897 | 12.218 | 14.292 | 91 | 67.407 |
darunter 65 Jahre und älter | 12.184 | 1.901 | 6.042 | 1.464 | 2.766 | 11 |
Tabelle: Auswahl gemeldeter und freier Ausbildungsstellen in der Agentur für Arbeit Hamburg
Gesamtanzahl aller gemeldeter Ausbildungsstellen | 5.500 |
Kaufmann/-frau - Einzelhandel | 417 |
Pflegefachmann/-frau | 390 |
Beamter/Beamtin - Steuerverwaltung (mittlerer Dienst) | 227 |
Beamter/Beamtin - Justizvollzugsdienst (mittlerer Dienst) | 180 |
Kaufmann/-frau - Spedition und Logistikdienstleistung | 168 |
Kaufmann/-frau - Büromanagement | 165 |
Fachkraft - Lagerlogistik | 130 |
Verkäufer/in | 121 |
Bankkaufmann/-frau | 115 |
Fachinformatiker/in - Systemintegration | 112 |
Kaufmann/-frau - Groß- und Außenhandel (Großhandel) | 112 |
Beamter/Beamtin - Allgemeine Innere Verwaltung (gehobener Dienst) | 109 |
Anlagenmechaniker/in - Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik | 104 |
Elektroniker/in - Betriebstechnik | 93 |
Industriemechaniker/in | 90 |
Altenpflegehelfer/in | 89 |
Hörakustiker/in | 84 |
Medizinische/r Fachangestellte/r | 84 |
Mechatroniker/in | 82 |
Industriekaufmann/-frau | 80 |
Elektroniker/in - Energie- und Gebäudetechnik |