Die wirtschaftliche Flaute hat ihre Spuren auch am Arbeitsmarkt hinterlassen. Die Arbeitslosigkeit stieg im Jahresdurchschnitt um 38.663 Personen oder 5,8 Prozent auf 707.164 arbeitslos gemeldete Menschen. Mit einem Plus von fast 17.200 Personen waren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne ausreichende berufliche Qualifikation stärker betroffen als Fachkräfte mit einer dualen Berufsausbildung.
Prägend für den Arbeitsmarkt war das Frühjahr. Die Unsicherheit in der Wirtschaft aufgrund der Auswirkungen der Energiekrise führte dazu, dass die Frühjahresbelebung nahezu ausblieb. Nach dem Stillstand im ersten Halbjahr nahm der Arbeitsmarkt im Herbst wieder Fahrt auf. Dass die Herbstbelebung trotzdem verhaltener als im langjährigen Durchschnitt ausfiel, lag vor allem an der schwächeren Arbeitskräftenachfrage in den produzierenden Bereichen.
Ende des Jahres waren in den Jobcentern in NRW über 100.000 geflüchtete Menschen aus der Ukraine gemeldet. Die große Mehrheit hat oder wird in den kommenden Monaten die Integrationskurse beenden und steht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Die Partner am Arbeitsmarkt sind sich einig: Jetzt geht es darum, dass sie den Anschluss an den Arbeitsmarkt finden. Arbeitslos gemeldet sind aktuell rund 42.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in NRW.
Trotz der großen Herausforderungen, blieb der NRW-Arbeitsmarkt im Verlauf des Jahres weitestgehend robust. Im Herbst erreichte die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen neuen historischen Höchststand. Die Zahl der Beschäftigten kletterte jedoch nur in kleinen Schritten. Grund dafür ist neben der schwächelnden Konjunktur, dass es für Unternehmen auch 2023 schwierig war, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden und Stellen zu besetzen.
Roland Schüßler, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit:
„Der Arbeitsmarkt in NRW hatte 2023 einiges zu schultern. Der Abbau der Arbeitslosigkeit stockte aufgrund konjunktureller Schwächephasen. Eine weitere Herausforderung ist die Arbeitsmarktintegration geflüchteter Menschen. Zudem legte die wirtschaftlich angespannte Situation zugleich die größte Baustelle am Arbeitsmarkt in NRW offen: Während der Arbeitsmarkt für Fachkräfte nur wenig beeinträchtigt wurde, sinken für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne Qualifikation die Chancen, eine neue Arbeit zu finden.
Deshalb kam der Arbeitsmarkt nicht so voran, wie wir uns das erhofft hatten. Andererseits ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten über das ganze Jahr gesehen, wenn auch nur langsam, zu einem neuen Höchstwert für NRW gestiegen.
Weiterbildung und Qualifikation sind arbeitsmarktpolitisch die Themen, die weiterhin groß auf der Tagesordnung stehen. Und zwar bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ohne ausreichende Qualifikation - wie auch bei der Integration geflüchteter Menschen.
Bei Ukrainerinnen und Ukrainern müssen wir aufpassen, dass Spracherwerb, Qualifizierung und Arbeitsmarkterfahrung nicht nacheinander, sondern parallel geschehen. Nach der ersten Phase des Spracherwerbs geht es nun um den Einstieg in den Arbeitsmarkt. Viele sprechen die Sprache noch nicht perfekt oder die Anerkennung ihrer Qualifikationen ist noch nicht abgeschlossen: Doch die Menschen aus der Ukraine verfügen häufig über genau die Potentiale, die gerade in Bereichen gebraucht werden, die stark von Fachkräfteengpässen geprägt sind.
Wir haben in NRW tragfähige Strukturen der Zusammenarbeit aller Arbeitsmarktakteure. In Zeiten knapper Ressourcen geht es nun darum, unsere Investitionsmöglichkeiten noch besser miteinander in Einklang zu bringen, unsere Zusammenarbeit noch besser zu vernetzen und unsere gemeinsamen Strukturen damit weiter zu stärken. Unser Ziel muss es, zusammen die Fachkräftesicherung in NRW zukunftssicher zu gestalten.“
Anja Weber, Vorsitzende Deutscher Gewerkschaftsbund NRW:
„Der NRW-Arbeitsmarkt gerät durch zwei gegenläufige Entwicklungen zunehmend unter Druck: Während die Arbeitslosigkeit steigt, suchen fast alle Branchen händeringend nach Fachkräften. Im kommenden Jahr müssen die Anstrengungen deutlich erhöht werden, Vermittlungshemmnisse zu lösen und vorhandene Fachkräftepotenziale zu heben. Wir können und müssen deutlich mehr Menschen in Arbeit bringen! Daher ist eine Qualifizierungsoffensive unerlässlich. Die Bundesregierung hat dazu die Rahmenbedingungen geschaffen und neue Instrumente ins Leben gerufen, die Betriebe und Beschäftigte fit für die Transformation machen können. Es liegt nun an den Unternehmen gemeinsam mit den Betriebsräten, Gewerkschaften, Arbeitsagenturen und Jobcentern, diese in die Praxis umzusetzen.
Die ungenutzten Potenziale auf dem NRW-Arbeitsmarkt sind lange bekannt, jetzt gilt es, sie endlich zu heben. Ob Minijobber*innen, Arbeitslose, Geflüchtete, junge Menschen oder Frauen - in diesen Gruppen gibt es viele Menschen, die nur auf eine faire Chance auf dem Arbeitsmarkt warten. Was uns nicht weiterbringt, sind diffamierende Debatten rund um Bürgergeldbezieher*innen. Sie verstellen den Blick auf die tatsächlichen Herausforderungen und bringen uns keinen Schritt weiter, wenn wir den Fachkräftemangel in den Griff bekommen wollen.“
Arndt Günter Kirchhoff, Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen e.V. (unternehmer nrw):
„Es ist beachtlich, dass der Arbeitsmarkt robust ist und die Beschäftigung in NRW einen Höchststand erreicht hat. Dies zeigt einmal mehr das große Engagement der Arbeitgeber für die Arbeits- und Fachkräftesicherung. Unternehmen halten trotz schwieriger Rahmenbedingungen an Arbeits- und Ausbildungsplätzen fest, stellen ein, oft auch auf Kosten der eigenen Substanz. Und sie nutzen viele weitere Wege zur Fachkräftesicherung, wie Qualifizierung von Beschäftigten, Angebote zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder die Integration von Geflüchteten.
Gleichzeitig dürfen wir den robusten Arbeitsmarkt nicht als selbstverständlich ansehen. Die wirtschaftliche Lage ist ernst. Wir haben es nicht nur mit einer konjunkturellen Delle zu tun, sondern mit strukturellen Problemen. Die Belastungen durch hohe Energiekosten, eine lähmende Bürokratie, international zu hohe Steuern und Abgaben werden nicht dauerhaft am Arbeitsmarkt vorbeigehen. Hinzu kam die lange Hängepartie um den Bundeshaushalt. Dies hat Unsicherheiten verstärkt und ist damit Gift auch für Investitionen in Beschäftigung. Und die aktuelle Einigung setzt auch nicht die nötigen Impulse zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, zur Sicherung einer bezahlbaren Energieversorgung und zur Bewältigung der Transformation. Was wir schnellstens benötigen, ist Verlässlichkeit und eine Politik für mehr Wettbewerbsfähigkeit sowie einen klaren Vorrang für Wirtschaft und Arbeit. Nur Unternehmen, die optimistisch in ihre Zukunft blicken und international wettbewerbsfähig sind, können Arbeitsplätze schaffen.
Bessere Rahmenbedingungen für Arbeit müssen insbesondere auch in der Sozialpolitik gesetzt werden. Es gilt, die Beitragssätze in der Sozialversicherung wieder auf 40 % zu begrenzen. Die zu hohen Lohnzusatzkosten verteuern die im internationalen Vergleich ohnehin schon hohen Arbeitskosten und sind so eine Belastung für den Arbeitsmarkt. Auch muss weiterhin das Prinzip des „Fördern und Fordern“ ernst genommen, auf Aktivierung statt Alimentierung gesetzt und Fehlanreize abgebaut werden. Dazu gehört insbesondere auch die Einhaltung des Lohnabstandsgebots beim Bürgergeld.
Der nordrhein-westfälische Arbeitsmarkt steht vor vielfältigen Herausforderungen. Wichtig sind klare Prioritäten und konkrete Maßnahmen für Fachkräftesicherung und Integration in Arbeit sowie eine enge Zusammenarbeit der Akteure. Die nordrhein-westfälische Wirtschaft ist und bleibt dafür ein verlässlicher Partner.“
Weitere Informationen zum Arbeitsmarkt in NRW 2023 finden Sie zusammengestellt in einer ausführlichen Broschüre im Internet auf der Seite der Arbeitsmarktbeobachtung der Regionaldirektion NRW