Eine echte Frauenwirtschaft

Die Schwestern Friederike und Simone Strate führen die Strate-Brauerei in Detmold. Wie sie sich mit regionalem Netzwerk und ungewöhnlichen Mixturen erfolgreich gegen die Konkurrenz der Bierkonzerne behaupten.


01.10.2012 - Caspar Dohmen -5 MinutenArbeitswelt gestalten

Die Schwestern Friederike und Simone Strate führen die Strate-Brauerei in Detmold. Wie sie sich mit regionalem Netzwerk und ungewöhnlichen Mixturen erfolgreich gegen die Konkurrenz der Bierkonzerne behaupten.

Jährlich führt Friederike Strate tausende Besucher durch die Privatbrauerei. Gewöhnlich startet sie in der heute als Firmen- und Familienarchiv genutzten Bibliothek des neugotischen Backsteinbaus. Dann stellt sie sich auf ein kleines Holzpodest und erzählt, wie alles anfing, damals, anno 1863, als Adolf Hüppe vor den Detmolder Stadttoren die Brauerei gründete. Was damals völlig undenkbar war, ist seit fast 20 Jahren Realität: Dass eine Frau als Braumeisterin das Unternehmen führt. Zusammen mit ihrer fünf Jahre jüngeren Schwester Simone Strate stillt die 47-Jährige den Bierdurst der Ostwestfalen.

Das Gebäude-Ensemble der Brauerei sieht äußerlich noch genauso wie zu Gründungszeiten aus, weil die Chefinnen die Expansion im Verborgenen vorangetrieben haben. Unter dem Gebäude und dem umliegenden Park befindet sich heute ein zweigeschossiger Keller. Hier haben die Schwestern in den vergangenen Jahren immer wieder neue Kühltanks bauen lassen. Schließlich hat sich der Bierabsatz der Kleinbrauerei seit 1995, als sie das Kommando übernahmen, auf 148.000 Hektoliter fast verdoppelt. Mit 30 Beschäftigten und einem Umsatz von elf Millionen Euro gehören sie zu den kleinen Brauereien im Lande. Anders als viele Konkurrenten ist Strate jedoch bis heute unabhängig, und das dürfte einiges damit zu tun haben, dass sich die Damen aus Detmold sehr gut ergänzen: Die ältere Schwester Friederike kümmert sich um den Geschmack des Bieres, um die Qualität, den Verkauf und das Marketing, die Jüngere verantwortet Finanzen, Personal und Einkauf. Zwei Ereignisse, erzählen sie, haben ihr Verhältnis entscheidend geprägt: Zum einen war da der jahrelange Zwist ihres Vaters mit dem Onkel, den sie während ihrer Jugend erlebten. Privater Streit vermengte sich mit geschäftlichen Belangen, es bildeten sich Lager zwischen den Familien und im Betrieb. Es war eine lähmende Situation unter einem Dach. „Nichts auf dieser Welt ist es wert, dass wir uns in die Wolle kriegen“, beschlossen sie schon als Jugendliche.

Zitat:

„Die Belegschaft hatte Angst, dass wir Frauen uns an die Köppe kriegen." (Friederike Strate, Braumeisterin)

Strate Schwestern am Tisch
© Andreas Oertzen - Die Schwestern spielen die regionale Karte: Ihr Bier verkaufen sie ausschließlich im Umkreis von Detmold.

Noch stärker zusammengeschweißt hat sie der plötzliche Tod des Vaters. 1995 starb Friedrich Strate an Krebs, erst neun Monate zuvor hatten die Ärzte die Krankheit diagnostiziert. Für die Familie war es eine harte Zeit. Die Schwestern wechselten sich mit ihrer Mutter am Sterbebett ab. Nun lag die Verantwortung bei ihnen – und bei ihrer Mutter: Damals mischte Renate Strate, die noch heute zum Kreis der Geschäftsführerinnen gehört, stärker im Tagesgeschäft mit. Schon zu Lebzeiten ihres Mannes hatte sie etwa darauf gepocht, einen Bügelverschluss für die Bierflaschen einzuführen. Damit setzte sich Strate deutlich von den Bieren der Großbrauereien ab. Zeitweise avancierte „Detmolder“, so die Marke des Strate-Biers, zu einem Kultbier in Hamburger Kneipen. Die Mutter hatte es auch verstanden, die Familie – und damit die Marke – geschickt in Szene zu setzen. Dass ihre Tochter Friederike die Meisterschule für Brauer und Mälzer absolvierte und mit 19 Jahren jüngste Bierbrauerin Deutschlands wurde, erfuhren viele aus der Bild-Zeitung.

 

„Wo ist denn der Chef?“

Der Vater hatte seine Älteste schon früh als Nachfolgerin auserkoren. Dabei war sie, die Temperamentvollere, in der Schule eher eine „faule Nuss“: Nach der Mittleren Reife ging sie ab. Für Simone Strate, die akribischere und fleißigere der Schwestern, war hingegen keine Nachfolge vorgesehen. „Ich fand es schrecklich, als Vater sagte ,Du kannst werden, was du willst‘“, erzählt die Jüngere. Sie hing am Betrieb, aber für sie fehlte die Perspektive in dem Kleinunternehmen. Schrittweise nabelte sie sich ab: Lehre bei der örtlichen Sparkasse, BWL-Studium in Aachen. Als sie 1994 für ein Semester nach England gehen wollte, bat der erkrankte Vater sie doch: „Komm zurück!“ Der Onkel war ausgezahlt und der Betrieb wuchs. „Für einen alleine wäre das zu viel gewesen“, sagt die Ältere, das habe ihr Vater erkannt.

Manch einer hatte 1995 Zweifel an der Frauenwirtschaft, ein Mitarbeiter kündigte sogar. „Die Belegschaft hatte Angst, dass wir drei Frauen uns untereinander an die Köppe kriegen“, sagt die Braumeisterin schmunzelnd. Auch beim Besuch der Braumesse in Nürnberg wurden sie gefragt, wo denn der Chef sei.

Im Gespräch ist ihr Vater bis heute präsent. „Papa wollte …, Papa hat gesagt …“, so fangen viele Sätze an. Dabei haben sie ziemlich schnell ziemlich viel anders gemacht nach seinem Tod. Vier Generationen lang hatte die Brauerei stets nur eine Sorte gebraut: Detmolder Pilsener. Die Juniorchefinnen probierten ganz neue Rezepturen aus. Heute bieten sie neun Sorten an: Landbier, Weizen und sogar Glühbier, eine Mischung aus Pils, Sauerkirschsaft und Zimt-Nelkenaroma, die warm getrunken wird. „Man muss heute ein Komplettsortiment anbieten“, sagt Simone Strate.

Kein Fremdkapital im Betrieb

Bemerkenswert ist, dass die Schwestern ohne Kredite oder Leasingverträge auskommen. „Das mag eine verstaubte Einstellung sein, aber uns ist das wichtig“, sagen sie. Steht eine Betriebsausgabe an, dann warten sie, bis sie die Summe für die Anschaffung beisammen haben. Voriges Jahr haben sie etwa ein Blockheizkraftwerk gebaut und eine Solaranlage auf dem Dach.

Die Brauerei setzt auf die Region: Die Unternehmerinnen verkaufen ihr Bier über den Fachhandel in einem Umkreis von 120 Kilometern. Höher ist die Gewinnspanne, wenn größere Abnehmer direkt in der Brauerei kaufen – regionale Vereine etwa. Im Gegenzug sponsert Strate 800 Clubs durch regelmäßige Jahresbeiträge oder projektbezogene Zuschüsse, etwa für den Bau eines Vereinsheims. Bis zu einer Million Euro ist ihnen dieses Sponsoring wert.

Vor acht Jahren hatte Strate die Idee, möglichst viel auch in der Region einzukaufen. Vorher orientierten sie sich allein am Preis, nun war ihnen der regionale Bezug wichtig. Heute kommen Werbematerialien wie Flaggen aus Höxter, Papiertüten aus Bielefeld, Bierpappen aus Hövel. 90 Prozent ihres Umsatzes machen sie mit Bier, den Rest mit Waren wie „Bier-Senf“ oder „Glüh-Bier-Gelee“. Das jüngste Produkt im Sortiment ist der „Royal“, von dem die örtliche Sparkasse gerade 400 Flaschen bestellt hat. Royal ist ein Mischgetränk aus Prosecco, Pfirsichlikör und Weizenbier. Mit der Rezeptur liebäugelte Friederike Strate schon länger, es fehlte nur das passende Gefäß. Das hat schließlich ihre Schwester gefunden: In Italien hatten Biobauern eine Champagnerflasche mit Bügelverschluss entworfen und schützen lassen. Kurzentschlossen rief sie dort an. Tatsächlich gaben die Bauern die Freigabe für die Nutzung der Flasche, gratis. Die Chemie muss wohl gestimmt haben – zwischen den italienischen Biobauern und den ostwestfälischen Brauexpertinnen.

Vita

Friederike und Simone Strate

1964 wird Friederike Strate geboren. 1969 ihre jüngere Schwester Simone.

1979 beginnt Friederike eine Lehre als Brauerin im elterlichen Betrieb und wird 1983 die jüngste Braumeisterin Deutschlands. Darauf folgt ein BWL-Studium mit Schwerpunkt Marketing an der European Business School in Oestricht-Winkel, mit Stationen in Paris und London. Danach kehrt sie zur Strate-Brauerei zurück.

1988 macht Simone Strate eine Banklehre bei der örtlichen Sparkasse in Detmold. 1990 beginnt sie ein BWL-Studium in Aachen mit dem Schwerpunkt Produktion, Kostentheorie und Finanzen.

1995 stirbt ihr Vater und die beiden Schwestern übernehmen gemeinsam mit der Mutter die Brauerei.

2007 ist der Betrieb fast komplett auf lokale Zulieferer umgestellt.


Titelfoto: © Andreas Oertzen