Chance genutzt, Azubi gefunden

Durch Zufall trifft ein Ausbilder auf eine Auszubildende, deren Betrieb schließt. Er erkennt ihr Potenzial und übernimmt sie kurzfristig. Warum Flexibilität bei der Suche nach Fachkräften hilft.


14.04.2021 - Birte Schmidt -4 MinutenMitarbeiter finden

Zuletzt aktualisiert: 07.06.2023

Eine Auszubildende, deren Betrieb schließt, und ein Ausbilder, der ihr Potenzial erkennt und sie kurzfristig übernimmt. Das ist die Geschichte von Dennis Steiling und Sophie Novak. Im Interview erzählen die beiden, wie der Wechsel des Betriebes während der Ausbildung funktioniert und welche Chancen er für beide Seiten bereithält.

Faktor A: Frau Novak, erzählen Sie doch bitte zuerst einmal, warum Sie überhaupt während Ihrer Ausbildungszeit auf der Suche nach einem neuen Ausbildungsbetrieb waren.

Sophie Novak: Das Unternehmen, in dem ich vorher gearbeitet habe, hat innerbetrieblich entschieden, dass die Niederlassung in Nürnberg, bei der ich beschäftigt war, geschlossen wird. Mir wurde angeboten zu wechseln, aber der neue Standort wäre sieben Autostunden entfernt gewesen, und das kam für mich nicht infrage.

Also haben Sie vermutlich angefangen, Bewerbungen zu schreiben, richtig?

Novak: Genau, über hundert Stück waren das, von November bis März. Ich habe mich wirklich auf alle Ausbildungsplätze beworben, die ich gefunden habe. Leider habe ich meist nicht einmal eine Rückmeldung bekommen. Ich hatte sogar mehrere Vorstellungsgespräche, aber am Ende habe ich trotzdem immer eine Absage bekommen. Woran es gelegen hat, weiß ich nicht.

Herr Steiling, wie war die Ausbildungssituation zu diesem Zeitpunkt in Ihrem Hause?

Frau mit dunkeln Haaren Sophie Novak
© Privat Sophie Novak

Dennis Steiling: Uns war klar, dass wir für den Herbst 2021 eine Unterstützung für das Office benötigen, und wir haben eine Stelle ausgeschrieben. Und eines Tages kam dann eine Bewerbung mit dem Betreff „Dringend, dringend, dringend“, jene von Frau Novak. Parallel dazu hat mich unsere Arbeitsvermittlerin angerufen und von einer jungen Dame erzählt, die sehr kompetent sei und dringend einen neuen Ausbildungsplatz bräuchte. Das hat mich hellhörig gemacht, und obwohl wir eigentlich nicht geplant hatten, im Frühjahr schon jemanden einzustellen, habe ich Frau Novak zu einem Online-Gespräch eingeladen.

Frau Novak, wie kam es dazu, dass sich die Arbeitsagentur so für sie eingesetzt hat?

Novak: Die Ausbilderin meiner Freundin hat bei ihrem Kontakt der Arbeitsagentur angerufen. Das ist so eigentlich nicht üblich, aber sie hat der Dame meine Lage geschildert. Und diese Dame war die Arbeitsvermittlerin von Herrn Steiling, ein großer Zufall also.

Und offensichtlich verlief das anschließende Vorstellungsgespräch sehr erfolgreich?

Steiling: Genau, im Gespräch haben wir beide gemerkt, dass das sehr gut passen könnte. Also haben wir eine zweiwöchige Probephase vereinbart, in der Frau Novak bei uns mitgearbeitet hat und bereits viele Aufgaben übernommen hat. Zu Beginn war sie ein bisschen schüchtern, aber die anfängliche Unsicherheit war nach zwei Tagen weg.

Wie ging es Ihnen in dieser Situation, Frau Novak?

Novak: Ich fand die Kollegen einfach supernett, alle sind noch sehr jung, und ich hatte einen richtig guten Eindruck. Und obwohl ich noch zur Probe gearbeitet habe, hat mich Herr Steiling direkt allen als neue Azubine vorgestellt.

Die Auszubildenden scheinen bei Ihnen einen hohen Stellenwert zu haben, Herr Steiling?

Steiling: Bei uns ist das ganze Team wie eine Familie. Wir sind alle sehr jung, und jeder soll sich hier gut aufgehoben fühlen. Ich denke immer aus der Sicht des Mitarbeiters, der absolute Wertschätzung und Unterstützung verdient. Nur dann kommt er auch an sein individuelles Leistungsmaximum. Und außerdem habe ich selbst eine sehr gute Ausbildung genossen, durfte sehr viele Aufgaben übernehmen und habe sehr viel Verantwortung übertragen bekommen. Und ich konnte Fehler machen – genau das ist mir bei unseren Auszubildenden auch sehr wichtig.

Novak: Ich finde es toll, dass ich ganz viele Arbeitsaufgaben und Verantwortungsbereiche habe. Die Wahl, ob ich weiter zur Schule gehen oder eine Ausbildung machen möchte, habe ich damals sehr bewusst getroffen.

Herr Steiling, warum haben Sie sich letztlich für Frau Novak entschieden?

Steiling: Ich arbeite gerne mit Persönlichkeiten zusammen. Das heißt, ich möchte, dass sie Verantwortung übernehmen. Wir wollen Frau Novak hier nicht für 08/15-Aufgaben einsetzen. In der Probearbeitszeit haben wir gemerkt, dass sie die Aufgaben, die wir ihr geben, sehr gut erledigt und dass da auch eine gewisse Eigenständigkeit dahintersteckt.

Eine Übernahme aus einem anderen Ausbildungsverhältnis ist ja nicht alltäglich. Wo haben Sie sich Hilfe geholt?

Steiling: Mein Tipp ist, eng mit der Arbeitsagentur und der IHK zusammenzuarbeiten. Für mich war das das erste Mal, dass ich jemanden während der Ausbildungszeit übernommen habe. Deshalb habe ich mich informiert, wie viel Ausbildungszeit wir anrechnen können, wie viel Urlaubstage Frau Novak bekommen soll und auch wie viel Geld.

Wie geht es jetzt für Sie weiter, Frau Novak?

Lachender Mann mit Anzug Dennis Steiling
© Privat Dennis Steiling

Novak: Mein Vertrag läuft jetzt seit dem 1. März, und abschließen werde ich meine Ausbildung im Sommer 2022. Die Ausbildung war ein echter Glücksgriff.

Steiling: Ich habe ihr gesagt: „Sie werden hier ausgebildet, um hierzubleiben.“ Ich bilde Nachwuchskräfte nicht aus, bringe ihnen alles bei, was ich weiß, gebe mein Wissen weiter, damit sie danach gehen. Mein Ziel ist es, Frau Novak nach der Ausbildung zu übernehmen.

Dennis Steiling ist Kanzleileiter und Ausbilder der Nürnberger Niederlassung des Finanzdienstleisters Swiss Life Select. Sophie Novak absolviert in dem Unternehmen bis Sommer 2022 eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement.


Titelfoto: © iStock/LoveTheWind