Vom Koch zum Mechatroniker

Audi hat ein Projekt initiiert, um den Fachkräftemangel zu lindern. Gemeinsam mit der Arbeitsagentur hat man 13 Teilnehmer für eine Umschulung gewonnen.


30.10.2020 - Akiko Lachenmann -4 MinutenMitarbeiter finden

Selbst bekannte Adressen wie Audi finden nicht ausreichend Fachkräfte. Eine Abteilung hat die Initiative ergriffen und sich in Kooperation mit der Arbeitsagentur auf die Suche nach geeigneten Kandidaten für eine Umschulung zum Kfz-Mechatroniker gemacht. Mit Erfolg.

Neben Corona macht vielen Branchen der Fachkräftemangel zu schaffen. Audi geht das Problem systematisch an: Im März 2019 schlägt der Automobilhersteller der Arbeitsagentur vor, geeignete Kandidaten aus ihrem Kundenkreis eine praxisnahe Umschulung zum Kfz-Mechatroniker in ihrem Ausbildungszentrum in Neuss anzubieten. An dem bundesweit einmaligen Pilotprojekt nehmen 13 Männer zwischen Ende 20 und Anfang 40 teil. Einer von ihnen ist Carsten Grimm, ein gelernter Koch. Für ihn geht ein Traum in Erfüllung. Der 38-Jährige ist nicht nur Teilnehmer des Pilotprojektes „Umschulung zum Kfz-Mechatroniker“, sondern auch Lehrgangssprecher.

„Auch auf Umwegen kommt man zum Ziel. Ich bin 38 Jahre alt und mache in etwa 15 Monaten im Rahmen einer Umschulung meinen Abschluss zum Kfz-Mechatroniker – ein Beruf, von dem ich seit Kindertagen geträumt habe. Schon mein Vater war gelernter Kfz-Mechaniker. In meiner Jugend haben wir oft gemeinsam an unserer 125er herumgeschraubt.

Carsten Grimm Audi Portrait
© Alois Müller - Carsten Grimm

Dass ich nicht den direkten Weg gewählt habe, hat ein wenig mit Jugendsünden zu tun. Nach der Realschule begann ich eine Ausbildung als Anlagenmechaniker, die ich aus nicht nennenswerten Gründen abbrechen musste. Ein Freund ermunterte mich dann, eine Ausbildung zum Koch zu machen. 20 Jahre arbeitete ich in dem Beruf. Die Arbeit setzte mir allerdings auf Dauer zu – üble Arbeitszeiten, wechselnde Einsatzorte, anstrengendes Arbeitsklima. Ich habe mittlerweile Familie und brauchte eine Veränderung. Also hörte ich auf und meldete mich arbeitslos.

Schon beim ersten Beratungsgespräch im Arbeitsamt Mettmann sagte ich, dass ich gerne als Kfz-Mechatroniker arbeiten will. Ich wusste aus Fachmagazinen, dass der Bedarf groß ist angesichts der neuen Antriebsformen. Das Arbeitsamt prüfte zunächst, ob ich die Voraussetzungen für eine Umschulung erfülle. Aber als ich grünes Licht bekam, lag der Zettel dann auch schon auf dem Tisch: ,Qualifizierungsprojekt: Vollzeit-Lehrgang zum Kfz-Mechatroniker in Kooperation mit Audi und Audi-Partnerbetrieben‘. Ich konnte es nicht fassen – ich war immer schon Audi-Fan, mir gefällt vor allem die Technik. Das Angebot kam wohl vom Himmel. Eine Hürde gab es aber noch: den Einstellungstest. Bis zum Termin hatte ich nur wenige Tage für die Vorbereitung. Ich bläute mir alles Mögliche ein, von Flussnamen bis hin zu Winkelalgebra – und bestand.

Im Oktober 2019 ging es dann los: Wir sind 13 Azubis – anfangs waren wir 23 – und sind alle so Ende 20 bis Anfang 40 Jahre alt. Wir werden von Trainern des Bildungsträgers steep GmbH unterrichtet, und zwar mittlerweile vorwiegend im ,Audi Service Training Center Neuss‘, einem großen Schulungszentrum. Unser Klassenzimmer ist unterteilt in einen Unterrichtsbereich für die Theorie und einen Bereich mit Fahrzeugen und Komponenten jeglicher Art für die Praxis. Wir können also das Erlernte direkt nebenan am Objekt ausprobieren.

Der Stoff ist ziemlich umfangreich und anspruchsvoll. Oft sitzen meine Kollegen und ich noch nach Feierabend zusammen im virtuellen Klassenraum und arbeiten das Erlernte nach, denn am nächsten Tag kommt schon wieder neuer Stoff. Aber ich habe ja den Rücken frei: Meine Familie steht voll dahinter, außerdem erhalte ich weiter Arbeitslosengeld und kriege sogar die Fahrt ins Schulungszentrum erstattet.

Die Motivation stimmt bei allen Teilnehmern. Denn am Ende des Weges erwartet uns eine spannende und erfüllende Arbeit in einer Branche, die niemals stillsteht.“

Fünf Fragen an

Wulf Kammer, Abteilung Service-Qualität, Vertrieb Deutschland Audi AG

Herr Kammer, was hat Ihre Abteilung dazu bewogen, dieses Projekt ins Leben zu rufen?

Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass in Deutschland ein Mangel an Fachkräften herrscht. Gerade für die technisch sehr anspruchsvolle Arbeit als Kfz-Mechatroniker tun sich unsere Partnerbetriebe zunehmend schwer, geeignete Mitarbeiter zu finden. Das hat unsere Abteilung – wir kümmern uns um die Service-Qualität unserer Partnerbetriebe – dazu veranlasst, noch weiter über den Tellerrand zu blicken und die Suche auf weitere Zielgruppen auszudehnen, darunter auch auf die arbeitssuchenden Menschen.

Dieser Personenkreis hat unterschiedlichste Qualifikationen und Werdegänge. Das dürfte eine aufwendige Kandidatensuche gewesen sein.

Diese Aufgabe haben in erster Linie die Bundesarbeitsagentur und der Bildungsträger steep GmbH gestemmt: Die Agentur für Arbeit Mönchengladbach hat das Angebot mit Flyern und Infobroschüren kommuniziert und alle Kundenberater in der Umgebung darüber in Kenntnis gesetzt. Steep wiederum hat ein Verfahren entwickelt, aus der Menge der Interessenten die Personen herauszufiltern, die den Ansprüchen dieser Ausbildung gewachsen sind.

Wulf Kammer Audi Portrait
© Alois Müller - Wulf Kammer

Was können Sie den Teilnehmern anbieten?

Das Besondere an dieser Umschulung ist die Praxisnähe: Wir stellen den Teilnehmern die Räume unseres Service-Trainingscenters in Neuss zur Verfügung – das ist eines von bundesweit fünf Trainingscentern, die sonst ausschließlich Mitarbeitern unserer Partnerbetriebe zur Verfügung stehen. Im Trainingscenter Neuss können die Teilnehmer alles Erlernte umgehend in die Praxis umsetzen. Gegen Mitte und Ende der Umschulung sind zwei Praktika à jeweils drei Monate bei einem unserer Partnerbetriebe vorgesehen. Diese Praxisphasen dienen dazu, sich gegenseitig kennenzulernen und herauszufinden, ob sich beide Seiten auch eine langfristige Zusammenarbeit nach der Umschulung vorstellen können.

Können alle Teilnehmer nach der Umschulung durch Partnerbetriebe übernommen werden?

Im Idealfall schon. Die Teilnehmer erwerben neben den klassischen Ausbildungsinhalten viele Audi-spezifische Kenntnisse, aber beide Seiten sind zu nichts verpflichtet: Weder müssen die Teilnehmer übernommen werden, noch sind diese gezwungen, einen Arbeitsvertrag mit den Audi-Partnerbetrieben einzugehen. Zumal sie am Ende der Umschulung einen offiziellen und allgemeingültigen Abschluss als Kfz-Mechatroniker in der Tasche haben. Darum ist bei dem Projekt ja auch die Kraftfahrzeug-Innung Rhein-Kreis Neuss mit im Boot, in deren Ausbildungswerkstatt in Grevenbroich der überbetriebliche Schulungsanteil unterrichtet wird.

Planen Sie im Unternehmen weitere Projekte dieser Art?

Wir wollen zunächst das Ergebnis dieses Pilots abwarten. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass das Projekt Schule macht und für andere Marken des Volkswagen-Konzerns interessant ist.


Titelfoto: © Alois Müller