Inklusion im Unternehmen: Best Practices zum Nachahmen

Von der Azubisuche bis hin zu einem besseren Miteinander: Eine gelungene Inklusion hilft nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern der gesamten Belegschaft – und damit dem Unternehmen.


24.11.2023 - Matthias Haft -6 MinutenArbeitswelt gestalten

Regelmäßig wird der Inklusionspreis vergeben. Damit werden Unternehmen für besonders erfolgreiche Inklusionsmaßnahmen ausgezeichnet. Faktor A hat sich mit Vertreterinnen und Vertretern aus drei Unternehmen über ihre Inklusionsstrategien unterhalten.

Inklusion geschieht nicht von heute auf morgen und nicht überall im gleichen Tempo. Während mancher große Arbeitgeber auf einen ebenso großen Erfahrungsschatz im Umgang mit Arbeitnehmenden mit Behinderungen bauen kann, hatte der eine oder andere kleine Betrieb womöglich noch gar keine Berührungspunkte mit dem Thema Inklusion. 

Einmal ganz davon abgesehen, was eine berufliche Teilhabe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen bedeutet, wird Inklusion auch für Arbeitgeber zu einem immer wichtigeren Thema, das in keiner Personalstrategie fehlen sollte. Denn während das Unternehmen mit Inklusionsplan auf vielen Ebenen – von der verbesserten Unternehmenskultur bis hin zu einer entspannteren Personalsituation – profitieren kann, schafft sich das Unternehmen ohne eine Roadmap zur Inklusion zunehmend Probleme bei der Gewinnung von Fachkräften.

Hohe Arbeitslosenquote und ein neues Gesetz

Die Inklusion am Arbeitsmarkt tritt derzeit etwas auf der Stelle. Zwar hat sich in den vergangenen Jahren für viele Menschen mit Behinderungen die Situation verbessert, doch so manche Zahl stimmt immer noch nachdenklich, wenn man sie hört oder liest. Zum Beispiel die der Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung: Laut aktueller Statistik der Bundesagentur für Arbeit lag diese im Jahr 2022 mit 10,8 Prozent mehr als vier Prozentpunkte über der allgemeinen Arbeitslosenquote. Das ist zwar besser als in den Jahren davor, aber immer noch weit von einem wünschenswerten Zustand entfernt. 

Auch deshalb hat die Bundesregierung in diesem Jahr das Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts auf den Weg gebracht. Doch wo auch ein Wandel im Miteinander gefragt ist, kann ein Gesetz nur Teil der Lösung sein. Wichtig ist zudem der Blick auf Vorbilder. Aus diesem Grund gibt es seit einigen Jahren den Inklusionspreis für die Wirtschaft, der unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vergeben wird. Anlässlich des Tags der Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember 2023 hat Faktor A mit Personalverantwortlichen amtierender und ehemaliger Inklusionspreisträger gesprochen und nachgefragt, wie Inklusion in ihren Unternehmen gelebt wird.

Inklusion in Zeiten des Personalmangels

Natürlich beschäftigen sich Arbeitgeber nicht erst seit dem Fachkräftemangel damit, Menschen mit Behinderungen einzustellen, nach dem Motto: Na gut, dann eben die Kandidatin mit Behinderung. Aber die allgemeine Situation am Arbeitsmarkt trägt doch ihren Teil dazu bei, dass heute viel öfter als früher der zweite Blick auf eine Bewerbung – und damit auf die Potentiale der Kandidatin oder des Kandidaten – geworfen wird. 

Porträtaufnahme von Piet Hülsmann
Foto: Piet Hülsmann, © stilfabrik*

Als sich die Personallage seines Betriebs vor einigen Jahren verschlechterte, erinnerte sich Piet Hülsmann an seine Zeit als Zivildienstleistender: „Nach der Schule war ich Zivi in einer Werkstatt für behinderte Menschen“, berichtet der Geschäftsführer der Tischlerei stilfabrik* aus Neuss am Telefon. „Ich mochte die Arbeit mit den behinderten Kolleginnen und Kollegen. Das war eine tolle Zeit, aus der ich viel mitgenommen habe, auch das Bewusstsein für das Potential und die Fähigkeiten der Menschen, die in der Werkstatt angestellt waren.“ Und so beschloss er Jahre später, gezielt nach einer neuen Kollegin oder einem neuen Kollegen mit Behinderungen zu suchen.

Die größte Hürde hierbei: die Bürokratie. Einfach sei der Start nicht gewesen, sagt Hülsmann, viele Informationen, viele Ansprechpartner und viele Fördertöpfe hätten die Lage etwas unübersichtlich gemacht. „Zum Glück hatte ich Unterstützung von Beratern in der Handwerkskammer und im Integrationsfachdienst Neuss. Insbesondere die Beratung vom Integrationsfachdienst war Gold wert. Und irgendwann hat die Anstellung des Kollegen dann auch geklappt. Mit einem Arbeitsvertrag, wie ihn alle anderen Mitarbeitenden bei mir auch haben.“ 

Zitat:

Liebe Arbeitgeber: Einfach mal machen. Mit Praktika und Probebeschäftigungen kann man sich unverbindlich kennenlernen. Berührungsängste braucht ihr nicht zu haben. Und Menschen mit Behinderungen rate ich: Sprecht Arbeitgeber direkt an. Ihr könnt auch auf Unternehmensverbände oder Inklusionsberater zugehen. Der Weg zum passenden Arbeitgeber ist meistens gar nicht so weit."

Piet Hülsmann, Geschäftsführer Tischlerei stilfabrik

Als Geschäftsführer eines kleinen Betriebs mit weniger als 20 Mitarbeitenden muss sich Hülsmann nicht um Beschäftigungsquote und Ausgleichsabgabe kümmern, dennoch setzt er seit mehreren Jahren konsequent auf das Thema Inklusion, beschäftigte zwischenzeitlich noch einen zweiten Mitarbeiter mit Behinderung. „Wir haben außerdem regelmäßig Praktikantinnen und Praktikanten im Betrieb, die testen, ob die Arbeit etwas für sie wäre – und die wir dabei besser kennenlernen können. Solche Probeformate gehören für uns fest zum Recruiting-Katalog.“

Behinderung ist kein Sonderfall

Wie eine Ausbildungsoffensive dabei helfen kann, Inklusion fest im Unternehmen zu verankern, zeigt die Westenergie Gruppe. Der Gas- und Stromversorger aus Nordrhein-Westfalen hatte über viele Jahre hinweg einen hohen Anteil von Beschäftigten mit Behinderungen. Doch irgendwann nahm dieser Anteil ab. Wie auch bei anderen gesellschaftlichen Entwicklungen ist dafür der demografische Wandel verantwortlich. „Eine Behinderung ist ja nicht zwangsläufig etwas, das man von Geburt an hat“, erklärt Martin Barrio, Personalleiter der Westenergie. „Vielmehr kann sich eine Behinderung auch nach einer Krankheit oder einem Unfall einstellen. Und daher steigt die Wahrscheinlichkeit für eine sensorische oder körperliche Behinderung mit dem Alter. Bei der Westenergie hatten wir generationsbedingt lange Zeit eine relativ alte Belegschaft, also auch mehr Kolleginnen und Kollegen, die im Laufe ihres Lebens eine Behinderung davongetragen haben. Und diese Generation geht seit einigen Jahren in den Ruhestand. Das sorgt für alle möglichen personellen Effekte, auch für den Rückgang der Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderungen bei uns im Unternehmen.“

Porträtaufnahme von Martin Barrio
Foto: Martin Barrio, © Westenergie Gruppe

Behinderung auch als ein demografisches Thema zu begreifen, hat bei der Westenergie dazu geführt, Maßnahmen zu ergreifen, die am anderen Ende der Erwerbsbiografie ansetzen: bei der Ausbildung. „Wir haben damals einen Piloten gestartet, um unsere Ausbildung auch für schwerbehinderte Menschen öffnen zu können. Unser Ausbildungspersonal wurde mit gezielten Qualifikationen im Umgang mit Menschen mit Schwerbehinderung geschult, und die Ausbildungsdauer haben wir erhöht. Die Inhalte sind die gleichen, wir geben unseren Azubis aber mehr Zeit, damit sie die Ausbildung auch erfolgreich abschließen können.“

Herausgekommen ist das Programm „Ich pack‘ das!“, eine Einstiegsqualifizierung, die mit gezielter Unterstützung auf die Ausbildung vorbereitet. Dabei richtet sich das Programm nicht nur an Jugendliche mit einer Behinderung, sondern an alle, die etwas mehr Zeit und Betreuung benötigen. Auch Geflüchtete und Lernschwache können über das Programm einsteigen. Personalleiter Barrio dazu: „Behinderungen sind so individuell wie die Menschen an sich. Unsere Einstiegsqualifizierung setzt genau da an. Und deswegen liegt es auch nahe, die Qualifizierung so offen wie möglich zu gestalten. Behinderung ist in unseren Augen einfach kein Sonderfall.“

Zitat:

Bei Unternehmen herrscht ja oft die Sorge, dass Inklusion zu viel kosten könnte. Aber es gibt viele Fördertöpfe, auf die man zugreifen kann. Man muss eben nur wissen, welche. Hier können die Integrationsämter helfen. Geht also auf die zu. Dann ist man finanziell auch nicht auf sich allein gestellt."

Martin Barrio, Personalleiter Westenergie Gruppe

Selbstverständlich ist eine solche Einstellung nicht. So gab es auch bei der Westenergie anfangs Bedenken und Berührungsängste. Doch in der Zusammenarbeit konnten Verständnis und Sicherheit geschaffen werden: „Wo am Anfang noch Unsicherheit herrschte, stellten sich bald Empathie und Verständnis ein. Ich bin davon überzeugt, dass die Westenergie am Thema Inklusion gewachsen ist. Unsere Unternehmenskultur hat auf allen Ebenen gewonnen.“

Gezielte Ansprache von Menschen mit Behinderung

Auch die Unternehmenskultur der DHL Group profitiert von den langjährigen Bemühungen des Konzerns beim Thema Inklusion. Dabei spielt das Thema laut Anke Podewin, Vizepräsidentin der Gruppe im Bereich HR, nicht erst seit der Privatisierung eine zentrale Rolle in der Personalstrategie. Und so kann sie auf eine erfolgreiche Inklusionshistorie zurückschauen: „Auf die gesamte Unternehmensgruppe bezogen haben wir eine Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderungen, die mit fast 8 Prozent die gesetzliche Quote deutlich übertrifft. Auch bei neu gegründeten Gesellschaften sind wir bemüht, die Quote so zeitnah wie möglich zu erreichen. Aber um ehrlich zu sein, ist diese Abgabe nur ein nebensächlicher Antrieb für unsere Maßnahmen. Unsere Vorstellung von einer fairen und respektvollen Unternehmenskultur bringt das Thema Inklusion viel mehr voran.“

Porträtaufnahme von Anke Podewin
Foto: Anke Podewin, © DHL Group

Wenig verwunderlich also, dass Inklusion bei der Deutschen Post und DHL auch im Recruiting einen hohen Stellenwert hat. „Dass wir schon einiges erreicht haben beim Thema Inklusion hilft uns natürlich auch bei der Personalsuche. Für Menschen, die eine Behinderung haben, sind unsere Inklusionsmaßnahmen natürlich wichtige Argumente bei der Jobwahl. Hier können wir uns absetzen von der Konkurrenz, die vielleicht in dem einen oder anderen Punkt noch nicht so weit ist.“

Podewin ist froh darüber, hier auf dem Arbeitsmarkt punkten zu können. Denn das Recruiting von Menschen mit Behinderungen sei an sich schon eine schwierige Angelegenheit und die Kontaktaufnahme zu Menschen mit Behinderungen nicht ganz einfach. „Eine gezielte Ansprache ist unerlässlich. Es reicht nicht, einfach in einer Stellenanzeige auf unsere vielfältigen Inklusionsprogramme hinzuweisen und ausdrücklich Menschen mit Behinderungen zur Bewerbung zu animieren. Die Zurückhaltung ist trotzdem sehr groß.“ Jobmessen sind eine Möglichkeit, gezielter Menschen mit Behinderungen ansprechen zu können. Ein ganz anderer Weg führt die Personalerinnen und Personaler der DHL Group über die Reha-Berater. „Die Beraterinnen und Berater kennen unsere Maßnahmen und können Menschen, die gerade nach einem Job oder einer Ausbildung bei einem Unternehmen mit vielfältigem Inklusionsprogramm suchen, auf uns aufmerksam machen.“

Zitat:

Inklusion ist eine Chance, das eigene Unternehmen erfolgreicher zu machen. Als Arbeitgeber solltest du diese Chance auch nutzen. Und an Arbeitnehmende mit Behinderungen appelliere ich: Verliert nach einem Rückschlag nicht den Mut. Geht auf Arbeitgeber zu. Bewerbt euch. Und wenn ihr Zweifel habt, fragt nach einem Praktikum. Vielleicht lösen sich da eure Bedenken auf."

Anke Podewin, Vice President Group Labor Relations & Tariff Policy DHL Group


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