„Schichtwechsel“: Menschen mit und ohne Behinderung tauschen Arbeitsplatz

Diakoneo und Agentur für Arbeit 

24.09.2025 | Presseinfo Nr. 65

Ansbach/Rothenburg o.d.T/Bad Mergentheim. Im Rahmen der Aktion „Schichtwechsel“ haben Mitarbeiterinnen der Agentur für Arbeit in Ansbach und der Diakoneo Werkstatt Rothenburg vorübergehend ihren Job getauscht. Menschen mit und ohne Behinderung lernen bei der Aktion die jeweils andere Perspektive kennen. Ziel ist es, Barrieren abzubauen und so für mehr Inklusion auf dem Arbeitsmarkt zu werben. 

„Eine Werkstatt ist kein Abstellgleis“

Ein Beispiel für die gelungene Inklusion ist die 20-jährige Julia Scholz. Die junge Frau hat erfolgreich den zweijährigen Berufsbildungsbereich der Werkstatt für Menschen mit Behinderung in Rothenburg durchlaufen – vollständig finanziert von der Agentur für Arbeit. Sie steht jetzt vor dem erfolgreichen dauerhaften Schritt in den ersten Arbeitsmarkt – also in einen regulären Job. Werkstattleiter Willi Ulm sagt: „Auch wenn es viele Klischees gibt, eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung ist kein ‚Abstellgleis‘! Bei uns ist Durchlässigkeit das Allerwichtigste.“

Das beweist der Weg von Julia Scholz. Sie absolvierte im Rahmen ihrer Anstellung in der Werkstatt neben schulischen Blöcken auch mehrere Praktika bei Firmen – immer eng betreut von einer Bildungsbegleiterin der Werkstatt. Beim Sanitätshaus Seitz in Bad Mergentheim hat sie vor eineinhalb Jahren ihren dauerhaften Traumjob gefunden. Ihre Arbeit in der Produktion durfte sie zum „Schichtwechsel“ Melanie Buckel von der Agentur für Arbeit vorstellen.

Aufgaben der Agentur für Arbeit vielfältiger als allgemein bekannt

Melanie Buckel hat keinen typischen Job beim „Arbeitsamt“. Sie ist zuständig für die staatliche Zulassung von Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). Auch damit ist die Agentur für Arbeit gesetzlich betraut. Melanie Buckel sagt über ihre Aufgabe: „Wir zeigen, hier ist jemand, der sich für die Arbeit der Werkstätten interessiert und aufpasst, dass alles richtig und sicher läuft. Das ist das Schöne an meinem Job und gibt ein gutes Gefühl.“

So sind sich beide Teilnehmerinnen in ihren Jobs ohnehin sehr nah und lernten dennoch einen völlig anderen Blick darauf kennen. Zum Auftakt am Montag empfing die Agentur für Arbeit die Delegation aus Rothenburg in Ansbach.

Rettungswege, Klos, Personalschlüssel: Das muss eine Werkstatt erfüllen

Nach Tee, Brezen, Kuchen und Kennenlernen ging es „zur Sache“. Um Julia Scholz zu zeigen, welche strengen Voraussetzungen eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung erfüllen muss, durfte sie am Beispiel des Agenturgebäudes in Ansbach die Vorgaben selbst prüfen. Dabei halfen auch die Kenntnisse aus der eigenen Dienst-Werkstatt in Rothenburg. 

Die Checkliste umfasste unter anderem Barrierefreiheit (auch im Brandfall), geeignete Toiletten, Schulungsräume und einen Anschluss an das ÖPNV-Netz. Das Fazit zum Gebäude: bestanden! Dennoch ist unwahrscheinlich, dass die Agentur selbst bald zur Werkstatt wird. Julia Scholz‘ Fazit: „Am besten war der Kuchen – aber eigentlich auch der ganze Tag“. So befanden es alle Beteiligten, die sich am folgenden Dienstag in Rothenburg erneut trafen.

Campus der Hochschule Ansbach: „Großes Glück“ für Werkstatt

An gelebter Inklusion beteiligt sich auch die Fachhochschule Ansbach. Die Werkstatt darf deren modern ausgestatteten Campus im renovierten historischen Gebäude der ehemaligen Realschule in Rothenburg für die Schulungstage im Berufsbildungsbereich nutzen. „Dafür sind wir sehr dankbar“, sagt Ulm. „Auch so begegnen sich bei uns im Kompass im Campus Menschen mit und ohne Behinderung im gemeinsamen Alltag – nicht nur im Beruf.“ 

Zu einem solchen Schulungstag am Campus war am Dienstag auch Melanie Buckel eingeladen. Gemeinsam mit Julia Scholz und zwei weiteren Angestellten der Werkstatt lernte sie das Wichtigste über Garten- und Landschaftsbau. Anschließend stand die Fahrt zu Julia Scholz‘ aktuellem Arbeitsplatz an. Die Vorfreude war beiden Schichtwechselteilnehmerinnen anzusehen. In der Werkstatt der Firma Seitz hat Julia Scholz ein Umfeld, in dem sie sich vollends wohlfühlt. „Alle Kolleginnen und Kollegen sind supernett“, sagte sie mehrfach. 

Nach Berufsbildungsbereich: Dauerhafter Job auf erstem Arbeitsmarkt

Schon mit Betreten des Betriebs übernahm Julia Scholz das Ruder und zeigte stolz ihre Arbeit und die Räumlichkeiten. Spezialschaumstoffe und Zubehör lagerten dort gut sortiert in Regalen. Der Geruch von Kleber und Schleifmaschinen lag in der Luft. An einer computergesteuerten Fräse stellt Julia Scholz für Seitz individuelle orthopädische Schuheinlagen her. 

Im Job ist sie routiniert und führte Melanie Buckel mit großer Sorgfalt in die vielfältigen Arbeitsschritte ein – Materialauswahl, Programmieren, Anzeichen, Ausschneiden. Die große und laute CNC-Fräse flößte Respekt ein, doch gemeinsam hatten die Partnerinnen in wenigen Minuten ein Paar Einlagen gefräst, ausgeschnitten und zur weiteren Verarbeitung verpackt. „Wenn die Kiste voll ist, sehe ich am Ende des Tages, was ich geleistet habe“, sagt Scholz. Melanie Buckel war nach dem Einblick voller Respekt. 

Werkstatt Rothenburg: Stärken stärken und Schwächen abbauen

Die Aktionstage endeten auf dem gemeinsamen Nenner: in der unweit vom Campus gelegenen eigentlichen Werkstatt in Rothenburg, für deren Zulassung Melanie Buckel zuständig ist. Dort begegneten im Speisesaal viele freudestrahlende Menschen den „Schichtwechslerinnen“. Viele begrüßten Werkstattleiter Willi Ulm herzlich und fragten neugierig, wer die Besucher seien. Er erzählte im Anschluss: „Für alle Angestellten ist unser Ziel, Stärken zu stärken und Schwächen abzubauen. Dafür begleiten wir individuell – immer mit dem Ziel, sie für den ersten Arbeitsmarkt fit zu machen. Das Wunsch- und Wahlrecht der Menschen steht dabei an vorderster Stelle.“ Um den passenden Arbeits- oder Praktikumsplatz zu finden, unterhält Ulm ein Netzwerk mit bis zu 60 verschiedenen Arbeitgebern aus der Region – mit jährlichem Stammtisch.

Nach der herzlichen Verabschiedung kehrten die Teilnehmerinnen in die „alten“ Jobs zurück. Ihnen bleibt aber ein einzigartiger Perspektivwechsel, den beide als sehr bereichernd empfanden. Zum Abschied dankten sie sich gegenseitig und hofften auf ein baldiges Wiedersehen. 

Initiiert von der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen läuft die Aktion „Schichtwechsel“ seit 2017 und wirbt für mehr Inklusion auf dem Arbeitsmarkt. Der bundesweite Aktionstag ist im laufenden Jahr der 25. September. Das gemeinsame Arbeiten schafft Begegnungen auf Augenhöhe und zeigt wie im Falle von Julia Scholz, dass Vielfalt eine Bereicherung für alle Beteiligten ist.