Anfang November ziehen die Agenturen für Arbeit Bilanz zum zurückliegenden Berufsberatungsjahr, für das Ende Oktober die statistischen Daten zur Verfügung gestellt werden. Das Beratungsjahr beginnt immer am 01.10. eines Jahres und endet zum 30.09. des Folgejahres.
„Das erste Berufsberatungsjahr nach Corona liegt hinter uns. Ausläufer der Pandemie spürten unsere Beraterinnen und Berater trotzdem noch“, zieht Gunnar Schwab, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Stuttgart, Bilanz. Dies habe sich in mehrfacher Hinsicht bemerkbar gemacht. „Auffällig war, dass die Schülerinnen und Schüler der Entlassklassen zu einem Jahrgang gehörten, die wenig bis keine Praktika in die Waagschale werfen konnten. Aufgrund von Homeschooling und Unterrichtsausfällen waren außerdem die Noten sichtbar schlechter als in den Vorjahren“, berichtet Schwab. Auf der anderen Seite habe man festgestellt, dass sich die Betriebe darauf teilweise eingestellt oder eingelassen hätten. So waren Arbeitgeber eher bereit, bei ihren Anforderungen Abstriche zu machen, was letztlich beiden Seiten zugutekam.
Im Berufsberatungsjahr 2022/23 lag die Zahl der Ausbildungsstellen im Bezirk der Agentur für Arbeit bei 5.932 (Landeshauptstadt Stuttgart: 3.932; Landkreis Böblingen: 2.000), um 122 höher als 2021/22. Insgesamt 4.386 Bewerberinnen und Bewerber (LHS: 2.421; Landkreis: 1.965) hatten sich für eine Ausbildungsvermittlung registrieren lassen – 79 mehr als im Vorjahreszeitraum.
Auf 100 gemeldete betriebliche Berufsausbildungsstellen kamen im Bezirk der Agentur für Arbeit Stuttgart rein rechnerisch 78 gemeldete Bewerberinnen und Bewerber. „In unserem Agenturbezirk sprechen wir von einem sogenannten Bewerbermarkt“, erklärt Schwab. Dieser sei mit 66 Bewerbern pro 100 Stellen in der Landeshauptstadt Stuttgart deutlicher ausgeprägt als im Landkreis Böblingen, wo auf 100 Ausbildungsstellen 99 Bewerber kämen. Dies gleiche sich aber weitestgehend aus, da viele Bewerberinnen und Bewerber aus dem Landkreis ohnehin für ihre Ausbildung in die Landeshauptstadt pendelten.
Zahl der Bewerberinnen und Bewerber:
Zahl der gemeldeten Berufsausbildungsstellen:
Erfolgreiche Ausbildungsaufnahmen
Bis Ende September 2023 haben 1.969 (LHS: 1.038; Landkreis: 931) Bewerberinnen und Bewerber eine Berufsausbildung begonnen, 19 mehr als im Vorjahr (LHS: plus 45; Landkreis: minus 26). Darunter waren sowohl Ausbildungsaufnahmen, die bis zu einem Jahr vor Beginn vertraglich unter Dach und Fach waren, als auch kurzfristig abgeschlossene Ausbildungsverträge am Ende der Sommerferien. Auch im Monat Oktober gab es noch viele Ausbildungsaufnahmen, deutlich mehr als zum selben Zeitpunkt in den Vorjahren, auch im Vergleich zu den Vor-Corona-Jahren. „Offensichtlich fand der Appell, dass auch nach den Monaten August und September, in denen die meisten Ausbildungen starten, noch eine Ausbildungsaufnahme möglich ist, inzwischen Gehör“, stellt Schwab fest. „Nicht nur die Jugendlichen sondern auch die Unternehmen profitieren davon.“ Die Vertragsabschlüsse aus Oktober fließen in die vorliegende Bilanz nicht mehr ein, sondern erst in das jetzt begonnene Berufsberatungsjahr.
Den Weg zum erfolgreichen Ausbildungsvertrag haben die Berufsberaterinnen und Berater der Agentur für Arbeit Stuttgart intensiv begleitet: Hauptsächlich über regelmäßige Beratung und Orientierungsangebote an Schulen und auch über die Beratung an weiteren Standorten, unter anderem in Jugendzentren, wo man vor allem sogenannte NEETs (Not in Education, Employment or Training) erreichen konnte. In ihren Beratungsangeboten bringt die Berufsberatung den Jugendlichen die Bedeutung und Vorteile einer Ausbildung näher und weckt das Interesse für alternative Ausbildungsberufe, wenn es mit dem Wunschberuf nicht klappt.
Wem der direkte Weg in die Ausbildung nicht gelingt, bekommt über die Berufsberatung passende Förderangebote, zu denen zum Beispiel die Einstiegsqualifizierung oder eine berufsvorbereitende Maßnahme gehören. Dieser Zwischenschritt bereitet die Jugendlichen optimal auf eine anschließende Ausbildung vor.
„Selbst während der Ausbildung ist der Jugendliche nicht allein, gerade wenn er leistungsschwächer ist. Über das arbeitsmarktpolitische Instrument ‚Assistierte Ausbildung‘ können schulische Defizite aufgefangen oder Probleme im sozialen Bereich ausgeglichen werden“, weist Schwab auf die Unterstützungsmöglichkeiten der Agentur für Arbeit hin. Diese Förderung könne übrigens auch von den Unternehmen in Anspruch genommen werden, indem sie selbst ihre Auszubildenden dafür anmelden, um ihnen Unterstützung zukommen zu lassen. „Damit erreichen wir eine win-win-Situation“, ist Schwab überzeugt.
Warum passen Bewerber und Ausbildungsstellen nicht immer zusammen?
Die Berufswünsche der Jugendlichen passen oft nicht mit den angebotenen Berufen zusammen. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. So interessieren sich viele Bewerber z. B. für Kfz-Berufe, Verwaltungs- oder Büroberufe. Ausbildungsstellen für Berufe mit Lebensmitteln, im Hotel- und Gaststättenbereich oder in Handwerksberufen sind dagegen weniger beliebt und bleiben häufig unbesetzt. Hier zeigt die Berufsberatung den Jugendlichen Möglichkeiten und Alternativen jenseits des „Traumberufes“.
Die Liste der TOP-10-Berufe hat sich auch dieses Jahr nur wenig verändert. Bei den männlichen Bewerbern steht nach wie vor der Kfz-Mechatroniker auf Platz 1. Von Platz 7 ist der Anlagenmechaniker Sanitär-/Heizungs- und Klimatechnik erstmals auf Platz 3 aufgestiegen. Auch der Fachinformatiker steht hoch im Kurs – er ist in der Rangliste mit beiden Fachrichtungen (Anwendungsentwicklung und Systemintegration) vertreten.
Bei den weiblichen Bewerberinnen taucht die Fachinformatikerin erst gar nicht auf unter den zehn beliebtesten Berufen. Sie geben als ersten Berufswunsch vor allem die medizinische und zahnmedizinische Fachangestellte an. Trotzdem kann der Bedarf der Praxen nicht gedeckt werden. Neu hinzugekommen auf der TOP-10-Liste ist die Verwaltungsfachangestellte. Das erhöhte Interesse an Ausbildungen im Öffentlichen Dienst wurde von der Berufsberatung in den Einzelberatungen überhaupt verstärkt wahrgenommen.
Dem gegenüber stehen diese gemeldeten Stellen der Unternehmen:
Schwab ist sich sicher: „Wer den Beruf findet, der zu ihm passt, findet nicht nur Erfüllung darin, sondern auch Ideen und Motivation, um erfolgreich darauf aufzubauen. Schließlich gibt es nach einer Ausbildung zahlreiche Möglichkeiten, sich weiter zu qualifizieren. Dies kommt allen zugute: Sowohl den Ausbildungsplatzsuchenden selbst, als auch den Arbeitgebern, die dringend geeignete Fachkräfte brauchen.“ Trotzdem könnten immer mehr Ausbildungsstellen nicht besetzt werden. Dabei ebne die duale Ausbildung jungen Menschen den Weg in eine sichere Beschäftigung und führe in spannende, anspruchsvolle Tätigkeitsfelder.
Leider stimmten Angebot und Nachfrage oft nicht überein. Dabei spielt auch eine Rolle, dass die Schülerinnen und Schüler beim Erwerb ihres Abschlusses im Laufe der letzten Jahre immer jünger wurden, was mit einem breiteren Alterskorridor bei der Einschulung und zum Teil auch mit der Verkürzung von G9 auf G8 zusammenhinge. Die noch nicht erreichte Volljährigkeit führt gerade bei Branchen mit ohnehin hohem Nachwuchsmangel zu zusätzlichen Schwierigkeiten bei der Besetzung ihrer Ausbildungsstellen. Hierzu gehören Hotel- und Gaststättenberufe, Berufskraftfahrer für Busse und Bahnen oder bei Pflegeberufen, wo das Mindestalter für den Einstieg bei 17 Jahren liegt.
Wo verbleiben die Bewerber, wenn nicht in Ausbildung?
Obgleich es rein rechnerisch für jeden Ausbildungssuchenden einen Ausbildungsplatz gibt, konnten Unternehmen und Betriebe auch 2022/23 nicht alle Ausbildungsstellen erfolgreich besetzen: Insgesamt 790 (LHS: 612; Landkreis: 178) blieben unbesetzt. Zeitgleich waren 43 (LHS: 24; Landkreis: 19) Bewerberinnen und Bewerber noch unversorgt.
Die Dringlichkeit, offene Ausbildungsstellen zu besetzen oder – bewerberseitig – eine Ausbildungsstelle zu finden, ist unterschiedlich hoch ausgeprägt. Betriebe brauchen zwar Nachwuchs, sind aber gleichzeitig auch zurückhaltend, wenn die Auftragslage zurückgeht. Auf der anderen Seite setzen viele Jugendliche verstärkt auf Alternativen zur dualen Ausbildung. So sind 2022/23 insgesamt 476 Bewerberinnen und Bewerbern (plus 15) zum 30. September in eine solche Alternative eingemündet (LHS: 319; Landkreis: 157). Dazu gehören beispielsweise ein Bundes- oder Jugendfreiwilligendienst. Dass diese in diesem Berufsberatungsjahr attraktiver geworden sind, mag mit den fehlenden oder verpassten Praktikumsmöglichkeiten während der Pandemie zusammenhängen, die Jugendliche nun nachholen können.
Hoch im Kurs standen in diesem Jahr auch die Fördermaßnahmen der Berufsberatung, die von deutlich mehr Menschen unter 25 Jahren in Anspruch genommen wurden. Gleichzeitig haben diese jungen Menschen ihren Vermittlungswunsch in eine duale Ausbildung für das kommende Ausbildungsjahr aufrechterhalten.
Seit vielen Jahren erstmals zurückgegangen ist die Zahl derjenigen, die eine weiterführende Schule besuchen (minus 9,0 Prozent) oder ein Studium aufnehmen (minus 1,1 Prozent).
151 Ausbildungssuchende haben sich arbeitslos gemeldet.
Von 681 Bewerberinnen und Bewerber liegt keine Rückmeldung zu deren Verbleib vor, trotz wiederholter Beratungsangebote und Kontaktversuche. Die Zahl ist um 13,1 Prozent höher als im Vorjahr.
Um auch jetzt noch unversorgte Bewerberinnen und Bewerber mit unbesetzten Ausbildungsstellen zusammenzubringen, werden die Vermittlungsaktivitäten bis mindestens Ende des Jahres fortgesetzt. Außerdem melden sich in den nächsten Wochen erfahrungsgemäß noch junge Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen (wieder) auf der Suche nach einer Ausbildung sind. Auch Betriebe melden Ausbildungsstellen, die (wieder) frei geworden sind.