§ 9: Hilfebedürftigkeit

Eine leistungsberechtigte Person (über 25 Jahre/ Ü 25) wohnt bei ihren Eltern. In der „Anlage zur Feststellung des Umfangs der Hilfebedürftigkeit bei Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft (Anlage HG)“ wird die Frage, ob die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person (eLb) Unterstützung erhält, mit „nein“ beantwortet. Sind diese Angaben ausreichend oder bedarf es einer weiteren Prüfung? Wie wäre der Sachverhalt zu beurteilen, wenn der Vater (Mieter) Leistungen nach dem SGB II beantragt und die o. g. Frage mit „nein“ beantwortet?

Ob die Beantwortung der Fragen mit "nein" akzeptiert werden kann, richtet sich nach dem Vorliegen eines Unterhaltsanspruchs der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person gegenüber den Angehörigen in der Haushaltsgemeinschaft. Die Unterhaltspflicht richtet sich nach §§ 1601 ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vgl. auch Fachliche Weisungen zu § 9 SGB II. Besteht eine Unterhaltspflicht, kann die Antwort mit "nein" nicht akzeptiert werden. Es wird im Rahmen der Leistungsfähigkeit der Angehörigen vermutet, dass die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person in angemessenem Umfang unterstützt wird. Welche Unterstützung den Verwandten zumutbar ist, muss entsprechend den Fachliche Weisungen zu § 9 SGB II berechnet werden. Ist das angehörige Familienmitglied der leistungsberechtigten Person rechtlich nicht zum Unterhalt verpflichtet, so reicht eine entsprechende schriftliche Erklärung (Antwort "nein") aus, wenn keine anderen Erkenntnisse den Wahrheitsgehalt dieser Erklärung in Zweifel ziehen. Sind angehörige Familienmitglieder der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person Mietpartei der gemeinsamen Wohnung, kann die Antwort der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person mit "nein" ohne weitere Angaben nicht akzeptiert werden. Es ist zunächst davon auszugehen, dass die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person tatsächliche Unterstützung in Form von Unterkunft, Heizung etc. erhält. Im o. g. zweiten Beispiel ist der Vater Antragsteller und zugleich Mieter. Er wird daher in aller Regel den Unterkunftsanteil für den Ü25 nicht aufbringen können. Die Antwort "nein" ist insofern grundsätzlich plausibel.

Stand: 01.01.2023

WDB-Beitrag Nr.: 090032

Eine alleinstehende Person beantragt am 01.01. zum 01.01. Leistungen nach dem SGB II. Der mtl. Anspruch der Person beträgt 600,00 EUR (Regelbedarf und Kosten der Unterkunft und Heizung). Nach Prüfung des Antrages wird festgestellt, dass diese Person übersteigendes Vermögen in Höhe von 1.010,00 EUR hat. 1. Wie ist das übersteigende Vermögen zu berücksichtigen? 2. Ist die Gewährung der 30,00-EUR-Pauschale bei der Berücksichtigung von übersteigendem Vermögen vorgesehen?

zu 1. Das übersteigende Vermögen ist Tag genau auf einen Zeitraum ab Anspruchsbeginn aufzuteilen. Unter Berücksichtigung eines monatlichen Bedarfes von 600,00 EUR ist die Person für den gesamten Monat Januar nicht hilfebedürftig. Es verbleibt noch ein zu berücksichtigendes Vermögen von 410,00 EUR, das den Bedarf der Person für 20 Tage im Februar deckt (600,00 EUR: 30 Tage = 20,00 EUR/Tag; 410,00 EUR: 20,00 EUR/Tag = 20 Tage + 10,00 EUR). Die Hilfebedürftigkeit aufgrund übersteigenden Vermögens entfällt immer nur für ganze Tage. Eine Berücksichtigung des restlichen Vermögens als Einkommen ist nicht zulässig (hier 10,00 EUR). Das bedeutet, dass ein Anspruch ab dem 21. des Monats besteht. Der Kunde erhält eine Ablehnung wegen übersteigenden Vermögens bis einschließlich dem 20.02. Die Bewilligung erfolgt ab 21.02. in ungekürzter Höhe.

Achtung: Zum monatlichen Bedarf zählen ggf. auch die zu zahlenden Beiträge zur KV/PV (z. B. Beträge zur freiwillig gesetzlichen Versicherung), sofern der Versicherungsschutz nicht anderweitig sichergestellt ist (z. B. Familienversicherung).

zu 2. Die Gewährung der 30,00-EUR-Pauschale ist in § 6 Absatz 1 Nr. 1 und 2 Alg II-V geregelt und wird nur auf die Berücksichtigung des Einkommens und nicht auf die Berücksichtigung von Vermögen gewährt. Ausführliche Informationen können der „Arbeitshilfe Einkommen“ im Intranet entnommen werden (SGB II > Geldleistungen und Recht SGB II > Leistungserbringung > Fachliches zum SGB II > §§ 11-11b SGB II - Einkommen > Arbeitshilfen > Arbeitshilfe Einkommen).

 

Hinweis: Dieser WDB-Beitrag ist sowohl unter § 9 als auch unter § 12 eingestellt.

Stand: 23.03.2020

WDB-Beitrag Nr.: 090060

Der Begriff der „Haushaltsgemeinschaft“ ist als „familiäre Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft mehrerer Personen“ definiert. Liegt eine Haushaltsgemeinschaft i. S. des SGB II nur vor, wenn gemeinsames „Wirtschaften“ erfolgt oder hat allein die Nutzung gemeinsamen Wohnraums (z. B. Bad oder Küche) die Zuordnung zu einer Haushaltsgemeinschaft zur Folge?

Der Begriff der Haushaltsgemeinschaft ist eng auszulegen. Das Vorliegen einer Wohngemeinschaft wird im Gegensatz zur Wirtschaftsgemeinschaft in der Regel durch die Betroffenen nicht bestritten.

Der darin enthaltene Begriff der "Wohngemeinschaft" ist für sich allein zunächst von untergeordneter Bedeutung, weil hiermit noch keine Haushaltsgemeinschaft i. S. des SGB II begründet wird.

Dem Kriterium der "Wirtschaftsgemeinschaft" kommt die wesentlichere Bedeutung zu: Wird eine getrennte Wirtschaftsführung geltend gemacht, d. h. insbesondere

  • eigenständige Versorgung mit dem täglichen Lebensbedarf,
  • eigenständiges Essen, kochen, einkaufen,
  • getrenntes Wäsche waschen und
  • getrennte Bestreitung der anfallenden Ausgaben - getrennte Kasse

ist als Anhaltspunkt auch glaubhaft dazulegen, ob die Wohnung im Hinblick auf Größe, Ausgestaltung und Ausstattung tatsächlich eine getrennte Wirtschaftsführung zulässt.

Die Feststellung einer innerhalb der gemeinsamen Wohnung getrennten bzw. eigenständigen Wirtschaftsführung hat zur Folge, dass der/die Mitbewohner(in) nicht Mitglied der Haushaltsgemeinschaft ist. Unter Verwandten/Verschwägerten ist an die Beurteilung des Vorliegens einer Haushaltsgemeinschaft ein besonders hoher Maßstab anzulegen, da dieses auch die Zuordnung zu einer Bedarfsgemeinschaft zur Folge haben kann.

Stand: 02.02.2017

WDB-Beitrag Nr.: 090025

Ein minderjähriger Schüler wohnt im Haushalt der Eltern und bildet mit ihnen eine Bedarfsgemeinschaft. Nach Antragstellung wird der Schüler darauf hingewiesen, dass ihm ein gem. § 12a SGB II vorrangiger Anspruch auf „Schüler-BAföG“ nach § 12 Absatz 1 Nr. 1 BAföG zusteht. Die Eltern unterlassen es jedoch, in der Folgezeit einen entsprechenden Antrag auf BAföG für ihr Kind zu stellen. Von der leistungsberechtigten Person wird hier eine zumutbare Selbsthilfemöglichkeit nicht genutzt. Besteht daher die Möglichkeit, ein fiktives Einkommen anzurechnen?

Nur die Möglichkeit, Leistungen nach § 12 Absatz 1 Nr. 1 BAföG zu beziehen, mindert nicht den Anspruch des Schülers auf Leistungen zu Sicherung des Lebensunterhalts. Zwar mindert sich der Bedarf eines Hilfebedürftigen gem. § 9 Absatz 1 SGB II durch zu berücksichtigendes Einkommen. Im SGB II gilt jedoch das Zuflussprinzip. Danach sind Einnahmen nur in dem Monat anzurechnen, in dem sie zufließen, vgl. § 11 Absatz 2 SGB II. Einkommen ist nur dann zugeflossen, wenn es dem Hilfebedürftigen tatsächlich zur Verfügung steht. Aus diesem Grund besteht nach der Systematik des SGB II keine Möglichkeit einer "echten" fiktiven Anrechnung. Im Rahmen des § 9 SGB II können nur "bereite Mittel" berücksichtigt werden. Bereite finanzielle Mittel stehen den leistungsberechtigten Personen dann zur Verfügung, wenn sie diese kurzfristig und ohne wesentliche Zwischenschritte realisieren können, um mit ihnen ihren Bedarf zu decken. Bevor der Schüler das BAföG tatsächlich erhält, hat die zuständige Stelle den Anspruch zu prüfen und zu bescheiden. Der Schüler kann daher nicht ohne weiteres über das Geld verfügen, weshalb es ihm nicht als bereites Mittel zur Verfügung steht. Bei der oben beschriebenen Weigerung der leistungsberechtigten Person hat der SGB II-Träger die Möglichkeit, gem. § 5 Absatz 3 SGB II für die leistungsberechtigte Person den Antrag auf die vorrangige Leistung zu stellen.

Stand: 01.01.2023

WDB-Beitrag Nr.: 090002

Ein an die leistungsberechtigte Person gerichtetes Schreiben kommt mit dem Vermerk „unzustellbar“ zurück oder das Jobcenter wird mittels Anschriftenbenachrichtigungskarte (ABK) über die neue Adresse informiert. Wie kann geprüft werden, ob Hilfebedürftigkeit noch vorliegt?

Fragestellungen zur Prüfung von Auswirkungen auf den Leistungsbezug:

  • Bedarfe für Unterkunft und Heizung: Wie hoch sind die Bedarfe für Unterkunft und Heizung? Wann wurde umgezogen? Sind BdU überzahlt? Die Einstellung der Zahlung der BdU ist ggf. gemäß § 41a Absatz 1 SGB II zu prüfen. Hierüber entscheidet der kommunale Träger.
  • Zuständigkeit: Hat sich die Zuständigkeit geändert? Ggf. Abgabe an zuständigen Leistungsträger. - Warum wurde umgezogen? War Aufnahme einer Beschäftigung Grund für den Umzug; Überzahlung prüfen. Wurde gar nicht umgezogen, sondern handelt es sich bei der bekannten Anschrift lediglich um eine Scheinwohnung (Verschleierung einer eheähnlichen Gemeinschaft)?
  • Höhe des Regelbedarfs: Ist nur eine Person der Bedarfsgemeinschaft umgezogen, Prüfung des Anspruchs der Rest-BG. Leistungen für den Regelbedarf der ausgezogenen Person wird noch gezahlt; Änderung der Höhe des Regelsatzes aufgrund veränderter Verhältnisse in der BG? Wegfall Mehrbedarf „allein erziehend“ bei Auszug eines Kindes? Ist Person in „neue“ BG gezogen, deren Anspruch prüfen. Evtl. wurde dort eine eheähnliche Gemeinschaft gegründet.
  • Ordnungswidrigkeit: Ist wegen des nicht mitgeteilten Umzugs eine Überzahlung eingetreten, ist zu prüfen, ob eine Ordnungswidrigkeit vorliegt.

Hinweise: Zum 01.07.2023 wird die Eingliederungsvereinbarung durch einen – nicht rechtsverbindlichen - Plan zur Verbesserung der Teilhabe (Kooperationsplan) abgelöst.

Stand: 01.01.2023

WDB-Beitrag Nr.: 090036

Sofern bei Ehegatten steuerpflichtiges Einkommen aus unselbstständiger Tätigkeit erzielt wird, kann ein Wechsel der Steuerklasse das Nettoeinkommen erhöhen. Kann auf eine Steuerklassenänderung hingewirkt werden, falls nicht die günstigste Wahl getroffen wurde?

Siehe Eintrag "Steuerklassenwechsel" zu § 2 (identisch).

WDB-Beitrag Nr.: 090041

Ein Kind, das das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, lebt mit seiner Mutter in einem Haushalt. Es hat 50.000 EUR von seinem verstorbenen Vater geerbt. Das Geld wird vor Antragstellung so angelegt, dass die Zinsen gleich wieder dem Vermögen zugeschlagen werden. Greift in diesen Fällen die Vermutung nach § 9 Abs. 5 SGB II hinsichtlich des die Freibeträge übersteigenden Vermögens?

Nach der Regelung des § 7 Absatz 3 Nr. 4 SGB II gehören Kinder bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, die aus ihrem Einkommen und Vermögen ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten können, nicht zur Bedarfsgemeinschaft. Allerdings findet § 9 Absatz 5 SGB II grundsätzlich auch dann Anwendung, wenn die Kinder aus dem Einkommen und Vermögen den eigenen Lebensunterhalt bestreiten können und diese Kinder mit Verwandten oder Verschwägerten in einer Haushaltsgemeinschaft leben. Zu klären ist in diesem Zusammenhang aber die Frage, ob – und inwieweit – von dem Kind erwartet werden kann, dass es mit dem Einkommen oder Vermögen die Mutter unterstützt.

Nach § 7 Absatz 2 der Bürgergeld-Verordnung ist im Falle des § 9 Absatz 5 SGB II Vermögen nicht zu berücksichtigen, das nach § 12 Absatz 2 SGB II abzusetzen oder nach § 12 Absatz 1 SGB II nicht zu berücksichtigen ist. Soweit das Vermögen des Kindes die üblichen Freibeträge übersteigt, ist insbesondere § 12 Absatz 1 SGB II zu beachten.

Bei einem Kind wird bei einer solchen Entscheidung aber stets zu berücksichtigen sein, dass dieses nach § 1602 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sogar dann von seinen Eltern Unterhalt verlangen kann, wenn es Vermögen hat und die Einkünfte aus seinem Vermögen zum Unterhalt nicht ausreichen. Zudem wird zu berücksichtigen sein, aus welcher Quelle das vorhandene Vermögen stammt. Soweit das Vermögen aus der Zahlung einer Lebensversicherung eines verstorbenen Elternteils stammt, liegt die Vermutung einer besonderen Härte der Verwertung zumindest nahe.

Im Bereich der Berücksichtigung von Einkommen über die Regelung des § 9 Absatz 5 SGB II können auch vom Kind Leistungen erwartet werden. Hier gilt die Regelung des § 1 Absatz 2 Bürgergeld-Verordnung, nach der Einnahmen in der Regel nicht zu berücksichtigen sind, soweit sie einen Freibetrag in Höhe des doppelten Betrages des nach § 20 Absatz 2 Satz 1 SGB II maßgebenden Regelbedarfs zuzüglich der anteiligen Bedarfe für Unterkunft und Heizung nicht überschreiten; darüber hinaus bleiben 50 Prozent der übersteigenden Einnahmen ohne Berücksichtigung. Auf Grund dieser Regelung dürfte sich daher nur bei außerordentlich hohen Einkünften, Unterhalts- oder Rentenzahlungen die Vermutung einer Unterstützung ergeben.

Die Vermutung des Unterhaltes kann durch Gegenbeweis widerlegt werden. Eine gesteigerte Unterhaltspflicht besteht in diesem Beispiel nicht.

Hinweise: Zum Widerlegen der Vermutung vgl. Kapitel 1.3.2.5 der Fachlichen Weisungen zu § 9 ( PDF, 226,1 KB)

Stand: 01.01.2023

WDB-Beitrag Nr.: 090034

Nutzungshinweise Wissensdatenbank SGB II