29.04.2025 - Matthias Haft -5 MinutenArbeitswelt gestalten
Ursachen für Lohnlücken identifizieren, mit Daten eine bessere strategische Personalplanung aufstellen, Kündigungen zuvorkommen: People Analytics können Zusammenhänge im Unternehmen aufzeigen und helfen so dabei, Probleme zu beheben und die Zukunft besser planbar zu machen.
Ganz ohne Zahlen und Daten haben Personalabteilungen wohl noch nie gearbeitet. Doch in den vergangenen Jahren hat sich der Umgang mit Daten auch in HR-Teams gewandelt. Wo früher Fragen danach, welche Daten man erheben und wozu man das tun sollte, vielleicht noch mit einer gehörigen Portion Willkür beantwortet worden sind, ist für viele Unternehmen heute der Umgang mit Daten zum Wesenskern geworden. Erfolgreiche Unternehmen sind oft datengetrieben. Und „getrieben“ kann hier durchaus im doppelten Wortsinn verstanden werden.
Während insbesondere im Marketing oder im Sales-Bereich Zahlen, Daten und Fakten seit Langem Entscheidungen für oder gegen bestimmte Maßnahmen begründen, ist ihre Verwendung als Entscheidungsbegründungen im HR-Bereich weit weniger selbstverständlich. Erst in den letzten Jahren gewinnen Zahlen auch in diesem Kontext an Bedeutung. Und mit ihnen ergeben sich ganz neue Arbeitsfelder: HR Analytics bzw. People Analytics.
Definitionen: Was ist People Analytics bzw. HR Analytics?
In Deutschland werden die beiden Begriffe „HR Analytics“ und „People Analytics“ meist synonym verwendet. Auch auf den Begriff „Workforce Analytics“ trifft man hin und wieder. Gemeint ist jeweils die vernetzte Analyse von verschiedenen Unternehmensdaten. Das können typische HR-Kennzahlen wie die Anzahl der Mitarbeitenden, Umsatz pro Vollzeitstelle oder die Fluktuationsrate sein. Je nach Fragestellung können auch Faktoren wie die Distanz zwischen Wohn- und Arbeitsort, Teamgrößen oder die Teilnahme an Angeboten des Gesundheitsmanagements relevante Daten darstellen. Zentral ist, dass die Daten sehr tiefgreifend analysiert werden mit dem Ziel, Erklärungen und sogar Vorhersagen liefern zu können. Damit unterscheidet sich HR Analytics von eher deskriptiven Datenmethoden, wie sie z. B. im Bereich des HR Controllings angewandt werden.
Welche Daten konkret benötigt werden, hängt von der jeweiligen Fragestellung ab, mit der man die Daten betrachtet. Eine Frage könnte etwa sein: Hat die Teamgröße einen Einfluss darauf, ob Mitarbeitende an Schulungen teilnehmen? Eine solche Frage lässt sich nur dann verfolgen, wenn die erforderlichen Daten – nach Teamgrößen und Schulungsteilnahmen – auch vorliegen und einsehbar sind.
Wie beginnt man mit People Analytics?
Ein Thema wie People Analytics ist natürlich nicht in ein paar Tagen und mal eben nebenbei aufgebaut. Viele Anforderungen müssen erfüllt sein, damit man überhaupt damit starten kann: Es braucht eine verwendbare Datengrundlage, Spezialist*innen, die mit den Daten umgehen können, und konkrete Problemfälle oder Fragestellungen.
Wer People Analytics einführen möchte, sollte also als erstes reflektieren, wie es um die Datensituation im Unternehmen bestellt ist und welche – möglicherweise isolierten – Datentöpfe bereits existieren. Wer arbeitet bisher mit den verschiedenen Daten? Werden diese irgendwo zusammengeführt?
Sensibler Umgang mit personenbezogenen Daten
Es sollte auch danach gefragt werden, welche der vorhandenen Daten überhaupt herangezogen werden dürfen. HR-Daten sind oft personenbezogene Daten. In dem Fall unterliegen sie der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Da die vorsieht, dass personenbezogene Daten nur „für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke erhoben […] und […] nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise verarbeitet werden“ dürfen, sind Unternehmen in Deutschland grundsätzlich begrenzt in dem, was sie im Rahmen ihrer HR Analytics auswerten können. Auch der DSGVO-Grundsatz der Datenminimierung sollte bei den Erwägungen eine Rolle spielen. Insbesondere bei der Einführung technischer Tools zur Analyse ist zudem ggf. die Mitbestimmung des Betriebsrats erforderlich.

Nichts geht ohne Case und die richtigen Fragen
Daten sammeln und auswerten allein bringt nicht viel. Es braucht einen Anlass. Dementsprechend ist es auch nicht zielführend, neue Daten, die bisher nicht gesammelt werden konnten, zu erfassen, solange der konkrete Zweck fehlt. Und dieser ergibt sich in der Regel aus einem Problem, das behoben, oder aus einem Potential, das erschlossen werden soll.
Im Falle der People Analytics ist es sogar so, dass viele Daten, die zu einem Erkenntnisgewinn beitragen können, aus anderen Gründen bereits im Unternehmen ausgewertet werden. Die Fluktuationsrate etwa zählt zu den typischen Kennzahlen des Controllings in der Personalabteilung. Diese Kennzahl könnte nun einen zweiten Anwendungszweck erhalten, indem sie für People Analytics herangezogen wird. Vielleicht wird von den Analyst*innen die Hypothese aufgestellt, dass die Fluktuationsrate innerhalb eines Teams in einem Zusammenhang mit der vorhandenen oder fehlenden Bereitschaft steht, Führung zu übernehmen. Womöglich wird die zweite Hypothese aufgestellt, dass die Teilnahme an Hospitationen im Unternehmen ebenfalls in Zusammenhang mit der Führungsbereitschaft steht. Und so werden weitere Hypothesen aufgestellt, um mögliche Einflussfaktoren zu identifizieren.
Das Beispiel verdeutlicht zweierlei: Je mehr Daten in einem Unternehmen vorhanden sind, desto mehr Hypothesen können gebildet – und mögliche Zusammenhänge identifiziert – werden. Das spricht aber keineswegs für eine wilde Datensammelwut. Denn viele Hypothesen bestätigen sich eben gerade nicht. Mit viel Aufwand neue Daten zu erheben und zu erschließen, nur um sie dann für die People Analytics anzuwenden, kann so zu einer kostenintensiven und noch dazu aus Datenschutzgründen fragwürdigen Praxis werden.
Drei interessante Case Studies der HR Analytics
Jede Organisation ist individuell und funktioniert auf ihre eigene Weise. Der Umgang mit Daten ist in der Regel nicht nur gesetzlich beschränkt, sondern vielleicht auch durch eine gemeinsame Unternehmenskultur, die bewusst darauf verzichtet, sensible oder potentiell stigmatisierende Daten überhaupt zu erheben oder für bestimmte Zwecke zu verwenden.
Deshalb ist es wenig ratsam, die Lösungen, die in anderen Unternehmen erfolgreich sind, pauschal zu kopieren. Trotzdem lohnt ein Blick auf die Fallstudien anderer Organisationen. Er dient mindestens als Inspiration und verdeutlicht zudem, wie vielfältig die Anforderungen an People Analytics und die erarbeiteten Lösungen sein können.
Jenseits des Gender Pay Gap
Im Vereinigten Königreich sind Arbeitgeber gesetzlich dazu verpflichtet, ihren Gender Pay Gap einmal jährlich zu melden. Auch die University of Warwick meldet die Zahlen und nahm dies 2020 zum Anlass, die Lohnlücken hinsichtlich weiterer demografischer Kategorien zu ermitteln. Man wollte wissen, ob auch in Bezug auf die ethnische Zugehörigkeit oder Behinderungen Pay Gaps bestehen. Tatsächlich fand die Universität heraus, dass Mitarbeitende, die kulturellen Minderheiten angehören, weniger verdienten als diejenigen, die zur Mehrheitsgesellschaft gezählt werden können. Das gleiche Missverhältnis zeigte sich bei Mitarbeitenden mit und ohne Behinderungen.
Die Analysen gingen weiter und so fand man heraus, dass Gender, Ethnicity und Disability Pay Gap vor allem dadurch zustande kamen, dass die betreffenden Personen in den besser bezahlten Positionen der Universität unterrepräsentiert waren. Dadurch konnten geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um die Lohnlücken zu verkleinern. Die Universität hat zum Beispiel Personalentwicklungs- und Führungskräfteprogramme initiiert, die von Mitarbeitenden in Anspruch genommen werden konnten, die seit vielen Jahren auf der gleichen Position geblieben sind.
Datenbasierte strategische Personalplanung
Das Institut der Deutschen Wirtschaft stellt in seinem 2022er Report zu HR Analytics die Fallstudie eines Maschinenbauunternehmens vor. Das Unternehmen arbeitete zum Zeitpunkt der Einführung von HR Analytics bereits sehr professionell mit HR-Daten und konnte viel Expertise in die neu geschaffene Abteilung einbringen.
Das Unternehmen versuchte über mehrere Ansätze die strategische Personalplanung zu unterstützen. Aus den feststehenden Strategien und Projekten der nächsten Jahre wurden die künftigen personellen Bedarfe ermittelt. Dabei wurden auch geschätzte Fluktuations- und Austrittsraten einbezogen, um eine realistischere Einschätzung des Bedarfs zu bekommen. Während der Pilotphase wurde außerdem für einen Geschäftsbereich die Personalplanung der nächsten fünf Jahre erstellt. Ausgehend vom strategischen Wunschzustand des Bereichs wurde ermittelt, welche Funktionen bis dahin erfüllt sein müssen, um die künftigen Vorgaben für zentrale Kennzahlen erreichen zu können.
Fluktuation reduzieren
Mitarbeitende zu verlieren und anschließend ersetzen zu müssen, ist teuer. Deswegen ist es wichtig für Arbeitgeber, Fluktuation so gering wie möglich zu halten. Das weiß auch die Schweizer Bank Credit Suisse. Mit Hilfe ihrer People Analytics hat die Bank deshalb ein Modell entwickelt, das die Wahrscheinlichkeit ermittelt, mit der ein*e Mitarbeitende*r das Unternehmen im nächsten Jahr verlassen wird.
Dabei wurden viele Daten, die im Unternehmen sowieso bereits vorhanden waren, zusammengeführt. So bilden ca. 40 Variablen die Grundlage für das Modell, u.a. Performance-Bewertungen, Teamgrößen und die Zeit, die eine Person auf der jetzigen Stelle verbracht hat. Dieses Wissen versetzt Credit Suisse in die Lage, auf Mitarbeitende zugehen zu können, bevor sie kündigen.

