Philipp Hertel: Auf unseren heutigen Gast bin ich durch einen Zeitungsartikel aufmerksam geworden. Da wurde der Friseurmeister mit einem Satz zitiert, der es in sich hat: „Wenn ich mir Azubis mal nicht mehr leisten kann“, sagt er, „dann kann ich meinen Laden auch gleich zumachen.“ Dazu muss man wissen, dass Zumachen für Michael Günther, so heißt der Mann, nie in Frage kam. Er bildet Friseurinnen und Friseure aus, seitdem er Meister ist, also seit 1967. Er hat 54 Jahre lang Azubis kommen und gehen sehen. Und er macht es immer noch. Mit 78 geht er jeden Morgen in seinen Friseursalon in Mühlhausen in Thüringen und legt Dauerwellen, färbt, rasiert, berät und er bringt das seinen Azubis bei. Günter war, soviel Zeit muss noch sein, Vorsitzender der Modekommission der DDR, Vorstand des Zentralverbandes der Friseure in Köln. Er ist so lange dabei, dass er schon mindestens dreimal die Wiedergeburt der Dauerwelle erlebt hat. Wer, wenn nicht er, kann uns erklären, warum er als Arbeitgeber seine Auszubildenden für so wichtig hält?
Lieber Herr Günther, danke, dass Sie sich heute Zeit nehmen für unseren Podcast für die Aufnahme. Wir wollen heute darüber sprechen, über fünf Dinge, die Sie über Azubis gelernt haben im Laufe Ihrer Karriere. Was ist denn der erste Punkt, den Sie gelernt haben?
Michael Günther: Das erste war: Azubis bedeuten neue Impulse für meinen Betrieb. Ja, ich verstehe ganz einfach darunter, dass junge Menschen eine gewisse Dynamik in unseren Beruf bringen. Wir haben ja einen Modeberuf und mit jungen Menschen können wir dementsprechend reagieren und diese Würze aus, ich sage mal Berufserfahrung in Fachkräften, und jungen Menschen, die ausgebildet werden sollen und ausgebildet werden, geben uns dann sehr viel Anreize bei der Umsetzung in der Praxis. Ich finde, das ist wichtiger als das Erlernen von, sagen wir mal uralten Techniken, die in der Realität einfach nicht mehr verlangt werden.
Philipp Hertel: Wie ist das denn im Alltag? Nehmen Sie auch was von den Azubis mit? Können die Ihnen auch mal was beibringen, wenn Sie sagen, die bedeuten neue Impulse?
Michael Günther: Ich sage mal von den jungen Leuten Modeimpulse, die nehmen wir auf jeden Fall mit. Oder auch deren Hinweise, was man eigentlich in unserem Beruf, der ja auch teilweise schon überaltert ist, durch sehr viele Salons, die schon lange im Besitz von den jeweiligen Leuten sind und nicht weitergeführt werden. Und diese jungen Leute bringen uns durch diese Erscheinung Modetrends und so weiter etwas mit, was wir umsetzen können, dann an unseren Kunden, mit unseren Kunden und den Azubis.
Philipp Hertel: Was ist die zweite Sache, die Sie über Azubis gelernt haben?
Michael Günther: Zweitens: Ausbilden heißt, den eigenen Fachkräftemangel zu verhindern. Damit meine ich ganz einfach: Wenn Sie heute die Arbeitsagentur z.B. fragen: Habt ihr dann für uns mal eine Fachkraft zur Verfügung? Könnt ihr uns was empfehlen? Dann kriege ich immer wieder die Antwort: Nein. Bei den Friseuren ist das ganz schwierig. Das ist eigenwillig, denn wenn man gerade jetzt diese Zeit, in der wir uns befinden, mit Corona sehen – es sind sehr viele Geschäfte geschlossen worden durch Corona. Und dadurch haben wir angenommen, wir haben jetzt jede Menge Fachkräfte, aber das ist nicht der Fall. Ich weiß nicht, wo die verschwinden, und deshalb ist es sehr, sehr wichtig, dass wir hier diesen Fachkräftemangel, der besteht, mit Ausbildung wieder kompensieren können. Das ist aber absolut nicht der Fall, denn a, haben wir die Fachkräfte nicht und b, gibt es ganz wenig Bewerber und leider noch weniger Ausbildungsbetriebe.
Philipp Hertel: Wie machen Sie’s denn? Wie finden Sie denn die richtigen Azubis für sich?
Michael Günther: Wir machen das einmal durch Aushänge an unseren Schaufenstern, persönliche Gespräche. Wir gehen auch mal in die Schulen und stellen unseren Beruf vor. Ich muss auch dazu sagen, bisher waren die Vergütungen für die Azubis sehr, sehr mau. Aber inzwischen sind die ja nun korrigiert worden und sind respektabel. Denn man muss ja immer davon ausgehen: Wir brauchen eine Arbeitskraft, eine Fachkraft, die die Lehrlinge anleitet. So, und jetzt haben wir aber die Situation geschaffen, dass wir mit ordentlichen Lehrlingslöhnen sag ich einmal, das Ganze schon interessanter gestalten. Und wir gehen in die Schulen, zeigen das. Wir machen dort Vorführungen von Mode, Erscheinung, von Haareschneiden, Techniken und all den Dingen und bringen den Schülern nahe, dass der Beruf doch ganz interessant ist und nicht so verschrien, wie das einmal war.
Philipp Hertel: Und da schaffen sie es, die richtigen Leute für sich zu finden. Seit beeindruckenden 54 Jahren sind sie Meister und haben 34 Azubis ausgebildet. Wenn wir an dieser Stelle einmal nur uns leisten, einen ganz kleinen Blick auf die Vergangenheit und die Entwicklung zu werfen, wie haben sich die Azubis in den letzten Jahrzehnten verändert?
Michael Günther: Das ist so, dass wir eigentlich heute zu wenig lernbereite Bewerber haben, um mal von der Jetzt-Situation auszugehen. Die Ausbildungsbereitschaft bei uns im Salon oder in unseren Salons, die ist nach wie vor ungebrochen, trotz dieser Schwierigkeiten. Ob jetzt Mangel an geeigneten Bewerbern an Corona oder zum Beispiel die Beschulung. Das ist ein Riesenproblem geworden, weil ja die Klassenstärken mit den Bewerbungen abgenommen haben. Und diese Klassenstärken verlangen dann natürlich auch Schließungen von Berufsschulen. Und diese Berufsschulen sind dann recht weit verteilt. Große Anfahrtswege sind dadurch gegeben, was für die Lehrlinge nicht gerade verlockend ist. Und wir haben dann noch eine zweite Möglichkeit, dass wir auch diesen Fachkräftemangel entgegengehen. Dass wir nicht nur Praktikum mit Berufsinteresse zeigen und damit auch gleichzeitig sagen: Hier, so sind die Sonnen- und die Schattenseiten. Sondern wir gehen dann auch noch über Einstiegsqualifizierung, über die Agentur für Arbeit an die ganze Geschichte mit ran, wenn wir also nicht genügend Bewerber haben.
Philipp Hertel: Das heißt, die Arbeitsagentur hilft Ihnen dabei, in einem sechs- bis zwölf-monatigen Praktikum quasi die richtigen Leute zu finden.
Michael Günther: Richtig, ja.
Philipp Hertel: Okay, Herr Günther. Punkt drei, Ihre dritte Lektion: Was haben Sie noch gelernt in den vergangenen Jahrzehnten?
Michael Günther: Ja, Azubis sind gut für den Umsatz. Das würde ich in unserem Gewerk nicht sagen, weil es ja doch relativ lange dauert, bis wir unsere Azubis auf dem Stand haben, dass wir, wie man so schön sagt, auf die Menschheit loslassen kann. Ganz einfach: Es ist vom Zentralverband aus, das bemängele ich immer wieder, gesagt worden: Kinder, wir haben genügend Übungsköpfe, sogenannte Postichköpfe, an denen die Lehrlinge Haareschneiden üben können, Frisuren gestalten können, lernen können. Aber ich sage Ihnen, das ist ganz einfach so: Wenn ich an einem Menschen eine Übung vornehme, ein Training, ja dann habe ich vor diesem Menschen Respekt. Vor diesen Köpfen, die da tot rum bestehen, ist der Respekt natürlich ganz minimal. Und da wurde eben mal eine Lücke reingeschnitten. Das ist nicht so schlimm. Mach ich das bei lebenden Personen, dann tut das richtig weh. Dann geht das an die Nieren und das merke ich mir mehr, als wenn ich einen solchen Postichkopf verunstalte. Es kommt natürlich dann etwas Negatives hinzu, dass Kunden heutzutage eigentlich nicht mehr bereit sind, Modell zu sitzen, obwohl sie ja alles kostenlos kriegen. Alle Bedienungen, die wir überhaupt haben und wir haben ja Friseur, Kosmetik, Fußpflege im Haus kriegten die kostenlos, aber die Leute wollen für ihren Euro wirklich von Fachkräften bedient werden und das macht die ganze Situation schwierig. Und deshalb ist eigentlich diese Sache mit dem Umsatz durch Lehrlinge nicht als positiv zu bewerten.
Philipp Hertel: Ich hatte sie so verstanden, dass es letztlich als langfristige Investition in den Nachwuchs dann auch wiederum für den Umsatz auf eine sehr langfristige Art und Weise gesehen vielleicht gut sein könnte.
Michael Günther: Das ist absolut gut, denn wir sind ja wirklich in der Lage, sagt ja schon die Zahl, dass wir alleine in unserem Betrieb diese 34 ausgebildet haben, erfolgreich ausgebildet haben, die haben wir natürlich leider nicht alle behalten können, denn wir, wir haben wirklich ehemalige Lehrlinge von uns, die heute in Garmisch-Partenkirchen, Leipzig, Hamburg, Nürnberg, Stuttgart und was weiß ich, mit viel Anerkennung auch durch die Betriebsleiter an uns, Arbeit aufgenommen haben. Aber vor allem für uns selber haben wir Arbeitskräfte geschaffen, denn wir sind hier in unserem Salon z.B. 16 Mitarbeiter und die müssen ja irgendwo herkommen, denn es scheiden ja immer wieder welche aus durch Alter, durch Babyjahr und Berufsaufgabe, weil es ihnen zu anstrengend ist. Und das ist eigentlich dann das, wo wir sagen, das schlägt sich dann für uns positiv im Umsatz wieder nieder, denn wir könnten ja die Leute sonst nicht beschäftigen und die Kunden bedienen.
Philipp Hertel: Lektion 4, Herr Günther, was haben Sie noch gelernt über die Azubis?
Michael Günther: Azubis als beste Werbung fürs eigene Geschäft. Das ist …
Philipp Hertel: Können Sie das bestätigen?
Jein, sage ich ganz einfach mal, weil es ist etwas aufgetreten bei Bewerbungen seitens von Azubis. Die kommen aus einem Umfeld 70, 80 km. Ja, das nächste, was wir haben, ist 40 und jetzt kommt das, was ich vorhin schon nannte, dass wir in die Berufsschulen oft weit fahren müssen. Da sind schnell mal 2, 3 Stunden Fahrzeit eine Strecke weg. So, und wenn wir dann hier von Werbung fürs eigene Geschäft ausgehen. Wir sind jetzt dazu übergegangen und nehmen also, so traurig das klingt, möglichst Lehrlinge aus unseren Orten, in denen wir die Geschäfte haben und nicht mehr aus, wie gesagt 30, 40 oder 80 km Entfernung, weil das für uns dann auch wieder Kunden bringt. Die Lehrlinge bringen Kunden mit und es wird immer aktueller im Betrieb. Und diese, was ich vorhin sagte, Würze zwischen älteren, erfahrenen Fachkollegen und jungen Leuten, die einfach zukunftsorientierter denken und auch, nicht wie ich, mit solchen technischen Dingen nicht so vertraut sind. Die sind es. Und von denen können wir dann sehr viel mitnehmen und die werben dann wieder für uns mit ihrem Können.
Philipp Hertel: Letzter Punkt, Nummer 5, was haben Sie noch gelernt?
Michael Günther: Ohne Azubis macht der Job nur halb so viel Spaß, weil er dann nicht mit Weiterbildung verbunden ist, auch für die erfahrenen Fachkräfte und Meister. Die jungen Menschen bringen uns immer wieder darauf, dass wir sagen müssen: Oh, wir selber, egal welcher Altersklasse wir Fachkräfte angehören, müssen uns auch ein bisschen an den jungen Menschen orientieren und müssen sagen: Guck mal, da geht der Trend hin. Das wollen die jungen Menschen, das interessiert sie. Und das ist eigentlich das, was für unseren Beruf Spaß macht.
Philipp Hertel: Jetzt habe ich noch eine andere Frage. Jetzt sind Sie ja schon lange im Beruf und Sie sagen, es ist ein Modeberuf. Wie halten Sie sich denn up to date über Trends und was so die Mode mit sich bringt, was gerade angesagt ist?
Michael Günther: Bei mir ist das gegeben durch diese Mitarbeit im Zentralverband (ZDF), dass ich dort sehr viel Informationen rüber genommen habe. Denn wir haben ja ein eigenes Mone Team im ZDF und das hat immer die neuesten Trends gebracht. Dann haben wir sehr viele Friseur-Meisterschaften, die ja hohes Können verlangen, mitgestaltet und absolviert. Und das bringt dann immer wieder uns auf den neuesten Trend. Natürlich ist es auch so, dass man über Lektüre sieht, was es in der Welt los. Wo geht die Entwicklung hin? Für manchen Kunden mag das manchmal – so ähnlich wie in der Kleidermode – etwas versponnen wirken, aber das ist nicht der Fall. Denn aus diesem Versponnenen heraus wird dann später etwas Tragfähiges entwickelt. Und das ist das, wo ich mich auch sehr orientiere und auch darauf achte, dass meine Mitarbeiter allemann am Ball sind. Wir machen also sehr viele Weiterbildung, auch mit Firmen, die das dann sponsern. Das ist auch sehr viel wert, dass die Firmen uns dann sagen: Also hier passt mal auf, das und das ist auf der Welt, das ist in Frankreich, das ist in Amerika und das ist dort der Fall. Das kommt irgendwann auf uns zu.
Philipp Hertel: Gibt es eine Corona-Frisur?
Michael Günther: Nein, Gott sei Dank nicht. Wir haben, wenn ich das als Corona-Frisur sehen kann, eine negative Erfahrung in den ersten zwei Monaten der Gesamt Schließung unserer Salons erfahren müssen, dass viele Menschen, die jetzt modisch gedacht haben und nur ich sage gedacht haben und haben sich die Haare auch dementsprechend z.B. farblich verändert, dass die jetzt gesagt haben: Ach komm her, ich lass die Haare rauswachsen, dann lauf ich eben grau rum – diese Gleichgültigkeit, die eingezogen ist, das wäre für mich die Corona-Frisur.
Philipp Hertel: Super. Ja, danke ich Ihnen sehr für Ihre Einblicke, Herr Günther, wünsche Ihnen noch viel Erfolg für die weiteren Berufsjahre und viele Grüße nach Mühlhausen.