„Wir möchten Persönlichkeiten haben“

Beim Maschinenhersteller Hako aus Bad Oldesloe arbeiten 2000 Menschen. Ausbildungsleiter Frank Thielebein verrät im Podcast, warum es dem Unternehmen leichtfällt, die richtigen Azubis zu finden.


25.08.2021 - Philipp Hertel -1 MinutenMitarbeiter finden
Mann mit schwarzer Jack Frank Thielebein
© PR - Frank Thielebein

Beim Maschinenhersteller Hako aus Bad Oldesloe arbeiten 2000 Menschen – ein klassischer deutscher Hidden Champion, mit internationalen Produktionsstätten und fast einer halben Milliarde Euro Umsatz. Azubis werden hier immer gesucht. Frank Thielebein ist dort Ausbildungsleiter und hat zum Start des neuen Ausbildungsjahres schon alle Plätze vergeben. Im Podcast verrät er, wie das gelungen ist und welche Aspekte bei der Suche nach passenden Auszubildenden helfen.

 

Philipp Hertel: Unser Gast heute hat einen elektrisierenden Job. Er ist zu einer Art Magnet von Beruf. Wenn alles gut läuft, entwickelt er eine Kraft, mit der er für seine Firma neue Auszubildende regelrecht anzieht. Der Magnet-Mann heißt Frank Thielebein und ich bin sehr froh, dass er heute hier zu Gast ist. Frank Thielebein macht sich für den Maschinenhersteller Hako aus Bad Oldesloe auf Azubi-Suche. 2000 Menschen arbeiten für Hako, einen klassischen deutschen Hidden Champion, wie man so sagt, mit internationalen Produktionsstätten und fast einer halben Milliarde Euro Umsatz. Azubis werden hier immer gesucht. Und Frank Thielebein, so viel kann man jetzt schon verraten, hat zum Start des neuen Ausbildungsjahres alle Plätze schon vergeben. Wie er das macht und warum seine Jahre als Berater in der Drogenhilfe nicht geschadet haben? Darüber reden wir jetzt gleich. Herr Thielebein, ich würde gerne mit einer Quizfrage anfangen in unserem kleinen Podcast. Und zwar geht es um ein Zitat und ich lese es Ihnen mal vor: „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen Ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren Ihre Lehrer.“ Jetzt möchte ich von Ihnen wissen: Wer hat das gesagt? Der ehemalige CDU Bundeskanzler Helmut Kohl in einer Wahlkampfrede 1990, der griechische Philosoph Sokrates oder Annalena Baerbock beim Grünen-Parteitag 2019 A, B oder C? Was würden Sie sagen?

Frank Thielebein: Ich würde sagen: D, mein Vater. Ich kann mir vorstellen, das war schon Sokrates.

Philipp Hertel: Das ist richtig. Und das liegt auch ein bisschen auf der Hand. Was ich damit sagen will, ist: Wir sprechen heute über Azubis, über junge Leute und das Lästern über die Jugend ist so alt wie die Menschheit, wahrscheinlich. Es gibt sogar noch ältere Aufzeichnungen, hab ich gesehen. Aber ich habe gemerkt, sie wollten mir nicht so richtig auf den Leim gehen. Aber gut, war Ihr Vater so ein Typ, der das hätte sagen können?

Frank Thielebein: Das war durchweg zu meiner Jugend das, was ich permanent gehört habe. Also so ganz gerade ist meine Karriere in der Schule auch nicht gelaufen.

Philipp Hertel: Was haben Sie von Ihren Azubis gelernt als Ausbildungsleiter? Um es mal umzudrehen.

Frank Thielebein: Boah, so konkret kann ich das gar nicht sagen. Ich lerne jeden Tag was von denen. Ich glaube, was mir meine Auszubildenden geben, generell, ist jung zu bleiben, flexibel zu sein, irgendwo Dynamik im Kopf und nicht eingefroren zu sein, weil es ja doch täglich neue Herausforderungen sind. Und wenn ich nach meinem Geburtsdatum gefragt werde, muss ich nachzählen, wie alt ich momentan aktuell bin und wundere mich dann eigentlich immer, dass ich schon so ein astronomisches Alter erreicht habe, bei dem ich in meiner eigenen Ausbildung gedacht habe: Es sind nur die wenigsten, die überhaupt so alt werden können.

Philipp Hertel: Jetzt muss ich fragen, wie alt sie sind, Herr Thielebein, jetzt müssen sie es mir auch erzählen.

Frank Thielebein: Jetzt muss ich nachrechnen. Ich werde dieses Jahr 57!

Philipp Hertel: Das ist doch noch in der Mitte des Lebens, würde ich sagen.

Frank Thielebein: Das versuche ich mir auch einzureden.

Philipp Hertel: Okay. Als Sie 16, 17 waren und die Ausbildung angefangen haben, was haben Sie gelernt? Und was haben Sie damals gedacht, was das Leben für Sie bereithält?

Frank Thielebein: Ich glaube, da waren wir nicht wesentlich anders zu unserer Jugend als die Jugendlichen heutzutage. Ich kenne ganz wenige, die eine strategische Lebensplanung machen. Mein Antrieb war: Ich wollte keine Schule mehr machen. Mich hat Schule einfach nur angeödet, von vorne bis hinten. Und ich wollte irgendeine technische Ausbildung machen. Damals hatte ich permanent mein Mofa zerlegt und ich wollte eigentlich Zweiradmechaniker lernen. Meine Eltern haben mich dann dazu überredet, dass ich Flugzeugmechaniker lerne. Da bin ich mittlerweile sehr glücklich darüber, dass ich das gelernt habe. Aber mir war sehr schnell schon während der Ausbildung klar, dass ich in dem Beruf nicht arbeiten würde.

Philipp Hertel: Okay, jetzt sind sie heute bei Hako in Oldesloe Ausbildungsleiter. Jetzt werden ein paar Fakten abklären: Wie viel Azubis haben Sie im Jahr? Und was machen die? Was lernen die bei Ihnen?

Frank Thielebein: Im Jahr kann ich gar nicht so genau sagen. Ich glaube ich komme momentan auf 65 gesamt sowas in der Richtung über alle Lehrjahre und alle Standorte verteilt. Also wir haben im Stammwerk Oldesloe 9 Auszubildende gewerblich jedes Jahr. Die teilen sich auf in Fachkräfte, Lagerlogistik, Mechatroniker, Industriemechaniker, Fertigungsmechaniker, Elektroniker für Betriebs Technik. Und dieses Jahr bilden wir zum ersten Mal einen technischen Produktdesigner, was früher technischer Zeichner war, aus.

Philipp Hertel: Sie sind ja nicht schon immer bei Hako der Ausbildungs-Experte. Sie sind vor sieben Jahren ins Unternehmen gekommen. Warum hat man sie denn geholt? Was hat man sich von Ihnen erwartet? Was hat diese Personalie für Hako zu bedeuten?

Frank Thielebein: Das müssten Sie meine ehemalige Chefin fragen, die hat mich eingestellt. Ich komme ja überhaupt nicht aus der Industrie. Ich habe also kaum Arbeitserfahrung in der Industrie. Als jungen Facharbeiter habe ich mal zwei Jahre in einer Schokoladenfabrik gearbeitet. Meine Chefin hatte hinterher im Gespräch mal zu mir gesagt, dass sie mich genommen hat, weil ich explizit nicht aus der Industrie komme. Und weil sie das so reizvoll gefunden hatte, mal andere Wege zu gehen, mal andere Wege auszuprobieren.

Philipp Hertel: Jetzt reden wir natürlich hier vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Azubis immer schwerer zu finden sind, gute Azubis immer schwerer zu finden sind. Und deswegen reden wir heute auch. Was glauben Sie denn, bringen Sie als nicht in der Wolle gefärbter Industrie -xperte mit in dieses Unternehmen? Was für ein Magnetismus können Sie ausstrahlen für Azubis, für Hako?

Frank Thielebein: Also erst mal profitiere ich sehr davon, dass Hako zumindest im Kreis Oldesloe, Kreis Stormarn einen erstklassigen Ruf als Arbeitgeber hat. Das ist also absolut nicht mein Verdienst. In Waltershausen im Multicar-Werk, jeder kennt Multicar, das ist ein feststehender Begriff. Das sind da Traditionsunternehmen. Ich glaube, was ich vielleicht anders mache als andere in der Industrie: Mir geht’s nicht so sehr, die schulisch Besten zu finden, sondern ich möchte Persönlichkeiten und Köpfe haben und ich möchte auch durchaus Menschen haben, die vielleicht nicht einen ganz linearen Weg durch die Schule genommen haben, aber irgendwo ein Profil zeigen, Charakter zeigen.

Philipp Hertel: Wie findet man das raus? Ich sitze vor Ihnen, ich bin 16, ich möchte bei Ihnen Ausbildung beginnen und dann gucken Sie mich an. Was sind für Sie Kriterien? Woran machen Sie fest, ob das was wird mit uns beiden?

Frank Thielebein: Ich mache in den Kreisen der Schulen in Oldesloe öfters mal Bewerbungstraining mit und erzähle den Schülern dann aus der neunten oder zehnten Klassen oft: Was bewegt dich, wenn du einen Menschen, in der Regel ist es ein Mensch des anderen Geschlechts, also Junge oder Mädchen, irgendwo im Club oder sonst wo siehst. Was bewegt dich, dich umzudrehen und diesen Menschen anzugucken oder überhaupt den gar nicht zu registrieren? Ein Stück weit ist es, glaube ich, in der Auszubildenden-Akquise ähnlich, dass man sagt: „Ich habe ein Gefühl einfach der Person gegenüber. Ich hatte also schon Vorstellungsgespräche, da hatte ich eine junge Dame eingeladen zum Vorstellungsgespräch, weil irgendetwas in ihrer Bewerbung hat mich angesprochen und ich hab sie dann gesehen und hätte ihr am liebsten, wenn sie es verstanden hätte, hätte ich es auch gemacht, gesagt: „Okay, für mich ist das Einstellungsgespräch gelaufen, Sie können unterschreiben.“ Weil da so ein starkes Gefühl war, Ja, der Mensch passt zu uns, den will ich unbedingt haben.

Philipp Hertel: Sorry, da muss ich noch ein bisschen einhaken, das reicht mir noch nicht. Ist das Menschenkenntnis? Kann man das lernen über die Zeit?

Frank Thielebein: Ich finde es vermessen, von Menschenkenntnis zu sprechen. Das ist sicherlich auch eine Erfahrung. Ich bin jetzt seit knapp 30 Jahren im Bereich mit Jugendlichen zusammen und das geht doch eigentlich jedem von uns so: Dass ich irgendwo auf jemanden treffe und entweder das Gefühl habe: „Boah, dem mag ich nicht mal die Hand geben“ oder ich treffe irgendwo jemanden, mit dem könnte ich auch auf einer Party irgendwo stehen und sofort ins Gespräch kommen.

Philipp Hertel: Jetzt sind Sie ja ein stückweit auch verantwortlich dafür, dass die Azubis, die Sie auswählen, dann auch zu Facharbeitern werden und lange, möglichst lange im Unternehmen bleiben, könnte ich mir vorstellen. Also Sie haben ja auch so eine Art Rechenschaftspflicht für die Auswahl, die Sie treffen. Wie oft liegen Sie falsch?

Frank Thielebein: Glücklicherweise relativ selten. Aber das ist lang nicht mein eigener Verdienst, sondern ein großer Verdienst ist das Umfeld. Wir haben am Standort Waltershausen wie auch am Standort Oldesloe noch eine Ausbildungswerkstatt. Das heißt, ich lege ganz großen Wert drauf, dass der jeweilige Ausbilder eher im Hintergrund steht und die Gruppe mehr oder weniger die – neudeutsch – Skills irgendwo beibringt.

Philipp Hertel: Ich habe auf Ihrer Webseite gelesen, da steht der Satz: Wir sind der Überzeugung, dass eine sehr gute Ausbildung eine wesentliche Voraussetzung für ein erfolgreiches Berufsleben und für den Erfolg eines Unternehmens ist. Das mit dem Berufsleben kann ich mir vorstellen, Herr Thielebein, klar, jeder wünscht sich das. Aber wieso ist eine gute Ausbildung ein Grund für den Erfolg eines Unternehmens?

Frank Thielebein: Weil ich, glaube ich, nur eine gute Performance letztlich hinlegen kann, wenn ich auch Leute habe, die das mitgehen und das mitdenken. Das ganze Prinzip. Ich behaupte mittlerweile, nach all der Zeit, die ich eben auch selber Ausbilder bin, dass vielleicht 40 Prozent maximal meiner Tätigkeit am Tage sind, handwerkliche Fähigkeiten zu vermitteln und mindestens 60 prozent sind Fähigkeiten sozialer Natur. Was bedeutet das, im Team zu arbeiten? Wie benehme ich mich in einem Team? Pünktlichkeit et cetera. Das Ganze und das ist ein Prozess, den wir einfach innerhalb einer Ausbildung learning by doing haben. Also ich verstetige letztlich dieses theoretische Wissen, was sicherlich jeder Schüler hat, verstetige ich und bringe es in die Praxis, sodass das nach drei oder dreieinhalbjähriger Ausbildung eine Selbstverständlichkeit für jeden ist.

Philipp Hertel: Was sind denn Dinge, die Sie über das Fachliche hinaus Ihren Azubis beibringen möchten, also die menschliche Dimension: Ist es eine Haltung, die Sie Ihnen mit auf den Weg geben wollen?

Frank Thielebein: Ja, ich glaube schon. Also ganz wichtig ist es meines Erachtens, und ich habe da lange gebraucht im Berufsleben dafür, bis ich das gefunden habe, irgendwie, man kann auch Spaß bei der Arbeit haben. Kann mich dran erinnern an meine Zeit als junger Facharbeiter. Da hatte ich das Gefühl, ich gehe arbeiten, um mir abends in Berlin im Klub den Spaß zu kaufen und habe dann erst irgendwann mal später, als ich in Kiel einen Job hatte, festgestellt, da saß ich um 22 Uhr am Freitag bei mir in der Wohnung und habe was konstruiert, stellte fest: Ich bin im öffentlichen Dienst angestellt, ich krieg keine Überstunde bezahlt, warum machst du das eigentlich? Und Schluss war: Weil es mir einfach Spaß macht.

Philipp Hertel: Die Rede ist ja davon, dass die Ausbildungsfähigkeit immer schlechter wird. Warum ist das so oder ist das gar nicht Ihre Beobachtung?

Frank Thielebein: Doch, aber das ist, glaube ich nicht ein Problem der Berufsschule. Generell finde ich beim Lehrerberuf. Ich kenne gerade hier in der Hamburger Berufsschule sind super motivierte, tolle Lehrer, die auch von den Auszubildenden unheimlich akzeptiert werden. Ich finde einfach eine Haltung, die manche Lehrer entwickeln, dass sie eher gegen Ende im Berufsleben sich in eine Haltung angewöhnen: Schule ist ganz schön, die Schüler allein stören. Das hatte ich schon mal mitgekriegt, im Originalzitat von einem Lehrer gehört. Dann finde ich, muss man auch die Konsequenz haben zu gehen. Aber ich glaube, das originäre Problem liegt in der Bildungspolitik. Wir stellen fest, oder auch ich stell fest, obwohl ich aus dem sozialen Bereich komme und mir die Schwächeren und die, die vielleicht nicht ganz gerade durch das Leben gegangen sind, eigentlich sehr am Herzen liegen, einen Hauptschüler – oder jetzt heißt er ja nicht mehr Hauptschüler, weil es ist ja ein Unwort – einen Menschen mit erstem Schulabschluss, den kann ich in einer dreieinhalbjährigen Industriemechaniker-Ausbildung nicht mehr nehmen. Da wird erwartet vom Ausbildungsrahmenplan oder auch vom Rahmenlehrplan in der Berufsschule, dass der Wissen schon vorhält, was er nur eventuell kurz mal wiederholen muss. Das heißt, der ehemalige Hauptschüler, der kommt gar nicht mehr mit, weil der Themen in der Berufsschule um die Ohren kriegt, die er gar nicht mehr in der Schule gehabt hat. Und ich halte das bildungspolitisch nicht für einen großen Wurf, dass wir sehen: Das Handwerk schimpft darüber, dass sie einen Hauptschüler nicht mehr nehmen können, weil das Basiswissen fehlt. Und die Bildungspolitik antwortet darauf, dass wir den blöden Namen Hauptschule streichen und wir nennen sie jetzt ESA. Ich glaub da ist nicht viel mit gewonnen. Es dauert nur zwei Jahre, bis wir dann in der Industrie oder im Handwerk rausgekriegt haben: Das ist immer noch genau das Gleiche.

Philipp Hertel: Das heißt, Sie können Schüler mit einem ersten Schulabschluss nicht bei Hako unterbringen?

Frank Thielebein: Doch, das können wir schon. Das heißt es nicht. Wir haben jetzt deswegen in Bad Oldesloe angefangen, den Fertigungsmechaniker, den wir schon sehr lange in Waltershausen ausbilden, eben auch auszubilden. Als Antwort darauf, dass wir sagen: Damit hat ein Hauptschüler, der engagiert ist und der pfiffig ist, sehr gute Chancen oder der kann diesen Beruf bringen.

Philipp Hertel: Das heißt, ein mittlerer Schulabschluss ist der häufigste Schulabschluss unter den Azubis, die Sie haben. Ist das richtig oder sind sogar Abiturienten dabei? Wie ist da die Zusammensetzung?

Frank Thielebein: Ich würde so aus dem Bauch heraus sagen, dass der Schwerpunkt schon der Mittlere Schulabschluss ist. Das ist aber für mich nicht unbedingt ein Einstellungskriterium, sondern das mag sein, wenn mir jemand sehr gut gefällt, dass ich dem dann nahe lege, vielleicht doch nicht den dreieinhalbjährigen Beruf zu nehmen, sondern sich für einen dreijährigen zu entscheiden.

Philipp Hertel: Welche Rolle spielen bei Azubis Eltern heute aus Ihrer Sicht? Haben Sie noch etwas zu sagen bei den 16-17-Jährigen? Kommen sie über die auch an die Azubis selber ran, wenn’s mal nicht so läuft?

Frank Thielebein: Es ist sehr bedingt. Wie war das denn bei Ihnen in Ihrer Jugend? Haben Sie immer alles gemacht, was Mama gesagt hat, als Sie 17 waren?

Philipp Hertel: Selbstverständlich! Mama, falls du das hörst. Ja, es war alles toll. Nein, natürlich nicht. Klar, mir fehlt da die Erfahrung aus diesem jugendlichen Alter. Deswegen die Frage: Wenn Sie so einen 16-17-Jährigen vor sich haben, kommen da die Eltern noch mit zum Vorstellungsgespräch? Oder ist es vielleicht auch eine kulturelle Frage? Gibt es da Kreise, wo die Eltern wichtiger sind oder weniger wichtig? Ich stochere nur im Nebel.

Frank Thielebein: Das glaube ich nicht. Also ich sehe da zumindest keinen kausalen Zusammenhang zwischen Herkunft und Bildungsnähe noch sonst wie? Wir laden gerne die Eltern mit ein. Teilweise oder zum großen Teil sind die Auszubildenden ja noch minderjährig. Insofern müssen die Eltern mit unterschreiben. Und wir haben uns angewöhnt oder wir haben das mal zwei Jahre versucht, zur Vertragsunterzeichnung die Eltern einzuladen und denen das Werk, den Arbeitsplatz zu zeigen. Das ist ganz gut angenommen worden, ist aber auch jetzt pandemiebedingt unheimlich schwierig.

Philipp Hertel: Ja, klar, gut, das ändert sich hoffentlich eines Tages mal wieder in nicht absehbarer, in absehbarer Zukunft, ein schöner Versprecher. Heute, um das Thema Geld noch einmal zu streifen. Was verdient ein Azubi im ersten Lehrjahr? Wissen Sie das? Und ist das genug, aus Ihrer Sicht?

Frank Thielebein: Wow, das ist eine gemeine Frage. Also aus Sicht des Arbeitgebers, den ich ja vertrete, ist das mehr als genug. Also wir zahlen Tarif an allen drei Standorten. Das heißt, wir liegen deutlich über dem Handwerk. Mittlerweile geht ein Auszubildender an den tarifgebundenen Standorten mit einem guten Tausender im ersten Ausbildungsjahr nach Hause, auch wenn wir eigentlich diese Zahlen nicht gern veröffentlichen. Aber wir sind eben tarifgebunden oder an Tarif angelehnt. Ich bin da sehr zwiegespalten. Wenn natürlich der Auszubildende alleine leben will, dann ist ein Tausender recht wenig. Allerdings sind wir an allen drei Standorten doch in einer sehr ländlichen Struktur, wo viele der Auszubildenden auch noch zuhause wohnen. Und ich stelle dann fest oftmals, dass meine Auszubildenden, drittes, viertes Lehrjahr, ein dickeres Auto fahren als ich.

Philipp Hertel: Sie würden sagen, davon kann man ein Leben bestreiten. An Standorten, die sie haben,

Frank Thielebein: Wenn man alleine lebt, nicht. also ich bezweifle, dass man vom Tausender sich eine Wohnung leisten kann, gerade in Bad Oldesloe, was ja schon zum Hamburger Speckgürtel gehört, in Waltershausen steigen Mieten gerade auch ziemlich. Das ist zum alleine leben relativ wenig. Ich habe jetzt aber auch nicht vor Augen. Man kann ja z.B. Hilfen beantragen, also eine Ausbildungsförderung, wenn man allein lebt und damit sollte das eigentlich schon gehen. Ich seh halt als Vertreter eines Unternehmens auch immer: Ein Auszubildender ist ja in erster Linie was, was uns ziemlich viel kostet. Ein Ausbildungsplatz kostet also eine ganze Menge Geld und wir versuchen zwar, die Ausbildung sehr praxisorientiert durchzuführen in den Werken, sodass die schon im zweiten Lehrjahr auch mit in der Produktion arbeiten oder in der Produktion ausgebildet werden. Trotzdem ist es natürlich ein ziemlicher Geldfaktor, der bei der Ausbildung eine Rolle spielt.

Philipp Hertel: Das ist ein schöner Abschluss für mich zu fragen: Was tun Sie denn, um die Azubis, nachdem sie sie teuer ausgebildet haben, zu halten? Verlieren Sie viele? Oder schaffen sie es, die im Unternehmen zu halten?

Frank Thielebein: Mittlerweile schaffen wir das schon, die im Unternehmen zu halten. Wir haben jetzt auch mal angefangen, zum Beispiel junge Menschen, die gen Ende der Ausbildung sich entscheiden, weiter studieren zu gehen, denen haben wir ein duales Studium angeboten. Da sind wir grade dabei am Überlegen, ob wir das auch weiterhin so machen wollen oder ob das nicht unbedingt in der Unternehmensgröße, wie Hako sie an den drei verschiedenen Standorten hat, zielführend ist. In der Regel wollen die Leute bei uns arbeiten, weil ihnen das Betriebsklima gefällt. Also ich habe in den letzten 4 bis 5 Jahren eigentlich kaum welche gehabt, die gesagt haben nee, ich verlasse das Unternehmen, es sei denn sie übernehmen die Geschäftsnachfolge der selbstständigen Eltern oder sowas in der Richtung. Das ist auch primär unser Ziel, unseren eigenen Nachwuchs auszubilden und nicht einfach für eine Statistik oder für den Markt auszubilden.

Sie sind jetzt seit fast 30 Jahren im engen Kontakt mit Jugendlichen. Da liegt es natürlich nahe, sie zu fragen, ob es Konstanten gibt und was sie als Veränderung wahrnehmen. Was ist gleich geblieben bei den 16 bis 17-Jährigen, die Sie kennengelernt haben, seit den frühen Neunzigern.

Frank Thielebein: Spontan würde ich sagen Autos, Mädels.

Philipp Hertel: Und was ist anders heute? Wie nehmen Sie die wahr? Sind die sensibler, oder?

Frank Thielebein: Ich glaube, selbstständiger schon Stück. Als ich mich an meine Kindheit erinnere. Also wir sind doch allein durch damals andere Familienmodelle: In meiner Kindheit oder Jugend war das ja relativ selbstverständlich. Ein Familienteil geht arbeiten, dass andere Familienteil kümmert sich um Schularbeiten und ähnliches oder um den Hausstand, um die Aufzucht der Kinder. Die meisten der Eltern meiner Auszubildenden sind Doppelverdiener und so, dass die Jugendlichen schon ein Stück weit reifer, selbstständiger sind, als ich glaube, dass ich das gewesen bin oder meine Generation gewesen ist.

Philipp Hertel: Sie haben auch zehn Jahre mit Jugendlichen gearbeitet, die ein Drogenproblem hatten. Gibt es irgendetwas, was Sie aus dieser Zeit mit in die Azubibetreuung rüber gerettet haben? Irgendeinen Umgang, irgendeinen Trick? Irgendwie die Menschenkenntnis. Was kann man von dem einem fürs andere lernen?

Frank Thielebein: Generell glaube ich ein Verständnis für Belange von Jugendlichen, ganz pauschal gesagt, weil es prägt ja schon, so lange Zeit, sich mit Jugendlichen zu beschäftigen und festzustellen: Im Prinzip sind die Nöte der Jugendlichen nicht wesentlich anders, als meine gewesen sind. In der Drogenberatung ist das ähnlich gewesen wie in der Ausbildung, nur natürlich mit einem ganz anderen Zwang und mit einer großen Problematik dahinter. Was ich aus der Drogenberatung mitgenommen habe, ist ein pädagogisches Konzept, letztlich. Es gibt einen russischen Pädagogen, der selbstverwaltete Jugendhäuser gegründet hat und sagt: Die Gruppe erzieht im Prinzip und der Pädagoge steht nur im Hintergrund. Das ist ein Konzept, was wir in der Ausbildung auch versuchen, das wir moderieren und im Hintergrund notfalls eingreifen, wenn irgendwas schiefläuft. Aber in erster Linie sollen die Jugendlichen den Sinn für sich selber finden und die älteren Auszubildenden sollen die Jüngeren anleiten. Was im Umkehrschluss heißt: Die Älteren übernehmen schon in der Ausbildung Verantwortung. Das ist so ein bisschen das Prinzip, was ich aus meiner eigenen Ausbildung kenne. Also, erstes Lehrjahr durfte man nichts und musste alles machen. Man musste putzen und hat das unheimlich gehasst. Das regelt bei mir die Gruppe selber. Wer wann wie putzt, was sie dann sehr schnell feststellen ist, dass den Besen schwingen deutlich einfacher ist, als die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass es am Ende des Tages auch sauber ist. Und das glaube ich, prägt unheimlich, Eigenverantwortung zu übernehmen, weil ich sehr schnell innerhalb dieses Systems schon Verantwortung für andere übernehmen muss. Und das kann ich immer nur tun oder ich kann nur Anweisungen an andere geben, wenn ich mich selber vorbildlich verhalte. Das schult immens.

Philipp Hertel: Wenn Sie heute nochmal anfangen würden, nochmal 16 werden, was würden Sie machen? Würden Sie nochmal eine Ausbildung machen?

Frank Thielebein: Oh, die Frage habe ich mir noch gar nicht gestellt.

Philipp Hertel: Das ist gut. Das ist vielleicht besser. Ich weiß es nicht. Aber denken Sie dran, 40 Jahre zurück. Sie sind 15!

Frank Thielebein: Spontan würde ich sagen: Ja. Also wenn ich zumindest mich an meine Zeit erinnere. Ich hatte eine Freundin, die hatte gerade Abitur gemacht, da war ich schon in meiner Ausbildung, die erzählte mir mal irgendwann eines Abends, sie fährt am nächsten Tag in die Uni und guckt mal, was man so studieren kann. Das fand ich schon sehr befremdlich. Da hatten wir in der Realschule damals doch eine deutlich praxisnahere Ausbildung über Berufspraktika. Und mittlerweile finde ich toll, dass das Bildungssystem so durchlässig geworden ist, dass ich theoretisch mit dem Förderschulabschluss irgendwann auch ein Studium aufnehmen kann.

Philipp Hertel: Im August September beginnt das Ausbildungsjahr auch bei Hako. Haben sie schon alle zusammen?

Frank Thielebein: Für den Standort Waltershausen suchen wir noch zwei Logistiker, also Fachkräfte für Lagerlogistik und für den Standort Glindow suchen wir noch zwei Land- und Baumaschinen Mechatroniker. Aber sonst haben wir alle.

Philipp Hertel: Ist das ein besonders schwieriges Terrain dort oder ist der Beruf schwierig? Woran liegt es, dass das noch offen ist?

Frank Thielebein: Fachkraft für Lagerlogistik hat immer noch so ein bisschen den Ruf: „Kannst du Karre schieben, kannst du Arbeit kriegen.“ Es ist mittlerweile, ganz besonders vor dem Hintergrund Industrie 4.0, kommt es mir immer mehr so vor, dass wir als Mechaniker, die wir uns immer als die Krönung der Schöpfung gesehen haben, in Hintergrund treten und der Logistiker hält den ganzen Produktionsprozess in der Hand. Früher hat er einfach nur eine Palette hingestellt. Heute stellt er mir just in time das Bauteil hin, das ich innerhalb der nächsten 10 Minuten verbaue. Ich glaube, da gibt’s noch sehr viel Vorbehalte dagegen, weil dem haftet noch so ein bisschen der Lagerarbeiter an. Aber was wir explizit suchen, sind Menschen, die auch ein Potenzial haben, irgendwann eine Verantwortung zu übernehmen, eine Teamleitung zu übernehmen und in der Logistik eher mit ihrem Kopf dabei sind als mit ihren Händen.

Philipp Hertel: Sind Lehrjahre wirklich keine Herrenjahre?

Frank Thielebein: Diesen Spruch habe ich ehrlich gesagt noch nie verstanden. Ich nehm wahr, ich war jetzt letzte Woche gerade im Waltershausen unten und da nehme ich das gleiche wahr: Die Auszubildenden bei Hako haben schon Spaß dabei, überwiegend. Und das ist auch gut so. Natürlich verdient man hinterher deutlich mehr und muss sich ein Stück weit einschränken, aber man kommt gerade aus der Schule und ich weiß nicht, wie viel Taschengeld man heutzutage gibt. Aber mein Taschengeld war in der Regel in dem Alter, als ich noch mein letztes Schuljahr gemacht hatte, am Monatsvierten zu Ende.

Philipp Hertel: Ok, danke, Herr Thielebein, dass Sie heute da waren.

Frank Thielebein: Gerne, vielen Dank, dass ich da sein durfte.

Unser Gast heute hat einen elektrisierenden Job. Er ist zu einer Art Magnet von Beruf. Wenn alles gut läuft, entwickelt er eine Kraft, mit der er für seine Firma neue Auszubildende regelrecht anzieht. Der Magnet-Mann heißt Frank Thielebein und ich bin sehr froh, dass er heute hier zu Gast ist. Frank Thielebein macht sich für den Maschinenhersteller Hako aus Bad Oldesloe auf Azubi-Suche. 2000 Menschen arbeiten für Hako, einen klassischen deutschen Hidden Champion, wie man so sagt, mit internationalen Produktionsstätten und fast einer halben Milliarde Euro Umsatz. Azubis werden hier immer gesucht. Und Frank Thielebein, so viel kann man jetzt schon verraten, hat zum Start des neuen Ausbildungsjahres alle Plätze schon vergeben. Wie er das macht und warum seine Jahre als Berater in der Drogenhilfe nicht geschadet haben? Darüber reden wir jetzt gleich. Herr Thielebein, ich würde gerne mit einer Quizfrage anfangen in unserem kleinen Podcast. Und zwar geht es um ein Zitat und ich lese es Ihnen mal vor: „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen Ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren Ihre Lehrer.“ Jetzt möchte ich von Ihnen wissen: Wer hat das gesagt? Der ehemalige CDU Bundeskanzler Helmut Kohl in einer Wahlkampfrede 1990, der griechische Philosoph Sokrates oder Annalena Baerbock beim Grünen-Parteitag 2019 A, B oder C? Was würden Sie sagen?

Frank Thielebein: Ich würde sagen: D, mein Vater. Ich kann mir vorstellen, das war schon Sokrates.

Philipp Hertel: Das ist richtig. Und das liegt auch ein bisschen auf der Hand. Was ich damit sagen will, ist: Wir sprechen heute über Azubis, über junge Leute und das Lästern über die Jugend ist so alt wie die Menschheit, wahrscheinlich. Es gibt sogar noch ältere Aufzeichnungen, hab ich gesehen. Aber ich habe gemerkt, sie wollten mir nicht so richtig auf den Leim gehen. Aber gut, war Ihr Vater so ein Typ, der das hätte sagen können?

Frank Thielebein: Das war durchweg zu meiner Jugend das, was ich permanent gehört habe. Also so ganz gerade ist meine Karriere in der Schule auch nicht gelaufen.

Philipp Hertel: Was haben Sie von Ihren Azubis gelernt als Ausbildungsleiter? Um es mal umzudrehen.

Frank Thielebein: Boah, so konkret kann ich das gar nicht sagen. Ich lerne jeden Tag was von denen. Ich glaube, was mir meine Auszubildenden geben, generell, ist jung zu bleiben, flexibel zu sein, irgendwo Dynamik im Kopf und nicht eingefroren zu sein, weil es ja doch täglich neue Herausforderungen sind. Und wenn ich nach meinem Geburtsdatum gefragt werde, muss ich nachzählen, wie alt ich momentan aktuell bin und wundere mich dann eigentlich immer, dass ich schon so ein astronomisches Alter erreicht habe, bei dem ich in meiner eigenen Ausbildung gedacht habe: Es sind nur die wenigsten, die überhaupt so alt werden können.

Philipp Hertel: Jetzt muss ich fragen, wie alt sie sind, Herr Thielebein, jetzt müssen sie es mir auch erzählen.

Frank Thielebein: Jetzt muss ich nachrechnen. Ich werde dieses Jahr 57!

Philipp Hertel: Das ist doch noch in der Mitte des Lebens, würde ich sagen.

Frank Thielebein: Das versuche ich mir auch einzureden.

Philipp Hertel: Okay. Als Sie 16, 17 waren und die Ausbildung angefangen haben, was haben Sie gelernt? Und was haben Sie damals gedacht, was das Leben für Sie bereithält?

Frank Thielebein: Ich glaube, da waren wir nicht wesentlich anders zu unserer Jugend als die Jugendlichen heutzutage. Ich kenne ganz wenige, die eine strategische Lebensplanung machen. Mein Antrieb war: Ich wollte keine Schule mehr machen. Mich hat Schule einfach nur angeödet, von vorne bis hinten. Und ich wollte irgendeine technische Ausbildung machen. Damals hatte ich permanent mein Mofa zerlegt und ich wollte eigentlich Zweiradmechaniker lernen. Meine Eltern haben mich dann dazu überredet, dass ich Flugzeugmechaniker lerne. Da bin ich mittlerweile sehr glücklich darüber, dass ich das gelernt habe. Aber mir war sehr schnell schon während der Ausbildung klar, dass ich in dem Beruf nicht arbeiten würde.

Philipp Hertel: Okay, jetzt sind sie heute bei Hako in Oldesloe Ausbildungsleiter. Jetzt werden ein paar Fakten abklären: Wie viel Azubis haben Sie im Jahr? Und was machen die? Was lernen die bei Ihnen?

Frank Thielebein: Im Jahr kann ich gar nicht so genau sagen. Ich glaube ich komme momentan auf 65 gesamt sowas in der Richtung über alle Lehrjahre und alle Standorte verteilt. Also wir haben im Stammwerk Oldesloe 9 Auszubildende gewerblich jedes Jahr. Die teilen sich auf in Fachkräfte, Lagerlogistik, Mechatroniker, Industriemechaniker, Fertigungsmechaniker, Elektroniker für Betriebs Technik. Und dieses Jahr bilden wir zum ersten Mal einen technischen Produktdesigner, was früher technischer Zeichner war, aus.

Philipp Hertel: Sie sind ja nicht schon immer bei Hako der Ausbildungs-Experte. Sie sind vor sieben Jahren ins Unternehmen gekommen. Warum hat man sie denn geholt? Was hat man sich von Ihnen erwartet? Was hat diese Personalie für Hako zu bedeuten?

Frank Thielebein: Das müssten Sie meine ehemalige Chefin fragen, die hat mich eingestellt. Ich komme ja überhaupt nicht aus der Industrie. Ich habe also kaum Arbeitserfahrung in der Industrie. Als jungen Facharbeiter habe ich mal zwei Jahre in einer Schokoladenfabrik gearbeitet. Meine Chefin hatte hinterher im Gespräch mal zu mir gesagt, dass sie mich genommen hat, weil ich explizit nicht aus der Industrie komme. Und weil sie das so reizvoll gefunden hatte, mal andere Wege zu gehen, mal andere Wege auszuprobieren.

Philipp Hertel: Jetzt reden wir natürlich hier vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Azubis immer schwerer zu finden sind, gute Azubis immer schwerer zu finden sind. Und deswegen reden wir heute auch. Was glauben Sie denn, bringen Sie als nicht in der Wolle gefärbter Industrie -xperte mit in dieses Unternehmen? Was für ein Magnetismus können Sie ausstrahlen für Azubis, für Hako?

Frank Thielebein: Also erst mal profitiere ich sehr davon, dass Hako zumindest im Kreis Oldesloe, Kreis Stormarn einen erstklassigen Ruf als Arbeitgeber hat. Das ist also absolut nicht mein Verdienst. In Waltershausen im Multicar-Werk, jeder kennt Multicar, das ist ein feststehender Begriff. Das sind da Traditionsunternehmen. Ich glaube, was ich vielleicht anders mache als andere in der Industrie: Mir geht’s nicht so sehr, die schulisch Besten zu finden, sondern ich möchte Persönlichkeiten und Köpfe haben und ich möchte auch durchaus Menschen haben, die vielleicht nicht einen ganz linearen Weg durch die Schule genommen haben, aber irgendwo ein Profil zeigen, Charakter zeigen.

Philipp Hertel: Wie findet man das raus? Ich sitze vor Ihnen, ich bin 16, ich möchte bei Ihnen Ausbildung beginnen und dann gucken Sie mich an. Was sind für Sie Kriterien? Woran machen Sie fest, ob das was wird mit uns beiden?

Frank Thielebein: Ich mache in den Kreisen der Schulen in Oldesloe öfters mal Bewerbungstraining mit und erzähle den Schülern dann aus der neunten oder zehnten Klassen oft: Was bewegt dich, wenn du einen Menschen, in der Regel ist es ein Mensch des anderen Geschlechts, also Junge oder Mädchen, irgendwo im Club oder sonst wo siehst. Was bewegt dich, dich umzudrehen und diesen Menschen anzugucken oder überhaupt den gar nicht zu registrieren? Ein Stück weit ist es, glaube ich, in der Auszubildenden-Akquise ähnlich, dass man sagt: „Ich habe ein Gefühl einfach der Person gegenüber. Ich hatte also schon Vorstellungsgespräche, da hatte ich eine junge Dame eingeladen zum Vorstellungsgespräch, weil irgendetwas in ihrer Bewerbung hat mich angesprochen und ich hab sie dann gesehen und hätte ihr am liebsten, wenn sie es verstanden hätte, hätte ich es auch gemacht, gesagt: „Okay, für mich ist das Einstellungsgespräch gelaufen, Sie können unterschreiben.“ Weil da so ein starkes Gefühl war, Ja, der Mensch passt zu uns, den will ich unbedingt haben.

Philipp Hertel: Sorry, da muss ich noch ein bisschen einhaken, das reicht mir noch nicht. Ist das Menschenkenntnis? Kann man das lernen über die Zeit?

Frank Thielebein: Ich finde es vermessen, von Menschenkenntnis zu sprechen. Das ist sicherlich auch eine Erfahrung. Ich bin jetzt seit knapp 30 Jahren im Bereich mit Jugendlichen zusammen und das geht doch eigentlich jedem von uns so: Dass ich irgendwo auf jemanden treffe und entweder das Gefühl habe: „Boah, dem mag ich nicht mal die Hand geben“ oder ich treffe irgendwo jemanden, mit dem könnte ich auch auf einer Party irgendwo stehen und sofort ins Gespräch kommen.

Philipp Hertel: Jetzt sind Sie ja ein stückweit auch verantwortlich dafür, dass die Azubis, die Sie auswählen, dann auch zu Facharbeitern werden und lange, möglichst lange im Unternehmen bleiben, könnte ich mir vorstellen. Also Sie haben ja auch so eine Art Rechenschaftspflicht für die Auswahl, die Sie treffen. Wie oft liegen Sie falsch?

Frank Thielebein: Glücklicherweise relativ selten. Aber das ist lang nicht mein eigener Verdienst, sondern ein großer Verdienst ist das Umfeld. Wir haben am Standort Waltershausen wie auch am Standort Oldesloe noch eine Ausbildungswerkstatt. Das heißt, ich lege ganz großen Wert drauf, dass der jeweilige Ausbilder eher im Hintergrund steht und die Gruppe mehr oder weniger die – neudeutsch – Skills irgendwo beibringt.

Philipp Hertel: Ich habe auf Ihrer Webseite gelesen, da steht der Satz: Wir sind der Überzeugung, dass eine sehr gute Ausbildung eine wesentliche Voraussetzung für ein erfolgreiches Berufsleben und für den Erfolg eines Unternehmens ist. Das mit dem Berufsleben kann ich mir vorstellen, Herr Thielebein, klar, jeder wünscht sich das. Aber wieso ist eine gute Ausbildung ein Grund für den Erfolg eines Unternehmens?

Frank Thielebein: Weil ich, glaube ich, nur eine gute Performance letztlich hinlegen kann, wenn ich auch Leute habe, die das mitgehen und das mitdenken. Das ganze Prinzip. Ich behaupte mittlerweile, nach all der Zeit, die ich eben auch selber Ausbilder bin, dass vielleicht 40 Prozent maximal meiner Tätigkeit am Tage sind, handwerkliche Fähigkeiten zu vermitteln und mindestens 60 prozent sind Fähigkeiten sozialer Natur. Was bedeutet das, im Team zu arbeiten? Wie benehme ich mich in einem Team? Pünktlichkeit et cetera. Das Ganze und das ist ein Prozess, den wir einfach innerhalb einer Ausbildung learning by doing haben. Also ich verstetige letztlich dieses theoretische Wissen, was sicherlich jeder Schüler hat, verstetige ich und bringe es in die Praxis, sodass das nach drei oder dreieinhalbjähriger Ausbildung eine Selbstverständlichkeit für jeden ist.

Philipp Hertel: Was sind denn Dinge, die Sie über das Fachliche hinaus Ihren Azubis beibringen möchten, also die menschliche Dimension: Ist es eine Haltung, die Sie Ihnen mit auf den Weg geben wollen?

Frank Thielebein: Ja, ich glaube schon. Also ganz wichtig ist es meines Erachtens, und ich habe da lange gebraucht im Berufsleben dafür, bis ich das gefunden habe, irgendwie, man kann auch Spaß bei der Arbeit haben. Kann mich dran erinnern an meine Zeit als junger Facharbeiter. Da hatte ich das Gefühl, ich gehe arbeiten, um mir abends in Berlin im Klub den Spaß zu kaufen und habe dann erst irgendwann mal später, als ich in Kiel einen Job hatte, festgestellt, da saß ich um 22 Uhr am Freitag bei mir in der Wohnung und habe was konstruiert, stellte fest: Ich bin im öffentlichen Dienst angestellt, ich krieg keine Überstunde bezahlt, warum machst du das eigentlich? Und Schluss war: Weil es mir einfach Spaß macht.

Philipp Hertel: Die Rede ist ja davon, dass die Ausbildungsfähigkeit immer schlechter wird. Warum ist das so oder ist das gar nicht Ihre Beobachtung?

Frank Thielebein: Doch, aber das ist, glaube ich nicht ein Problem der Berufsschule. Generell finde ich beim Lehrerberuf. Ich kenne gerade hier in der Hamburger Berufsschule sind super motivierte, tolle Lehrer, die auch von den Auszubildenden unheimlich akzeptiert werden. Ich finde einfach eine Haltung, die manche Lehrer entwickeln, dass sie eher gegen Ende im Berufsleben sich in eine Haltung angewöhnen: Schule ist ganz schön, die Schüler allein stören. Das hatte ich schon mal mitgekriegt, im Originalzitat von einem Lehrer gehört. Dann finde ich, muss man auch die Konsequenz haben zu gehen. Aber ich glaube, das originäre Problem liegt in der Bildungspolitik. Wir stellen fest, oder auch ich stell fest, obwohl ich aus dem sozialen Bereich komme und mir die Schwächeren und die, die vielleicht nicht ganz gerade durch das Leben gegangen sind, eigentlich sehr am Herzen liegen, einen Hauptschüler – oder jetzt heißt er ja nicht mehr Hauptschüler, weil es ist ja ein Unwort – einen Menschen mit erstem Schulabschluss, den kann ich in einer dreieinhalbjährigen Industriemechaniker-Ausbildung nicht mehr nehmen. Da wird erwartet vom Ausbildungsrahmenplan oder auch vom Rahmenlehrplan in der Berufsschule, dass der Wissen schon vorhält, was er nur eventuell kurz mal wiederholen muss. Das heißt, der ehemalige Hauptschüler, der kommt gar nicht mehr mit, weil der Themen in der Berufsschule um die Ohren kriegt, die er gar nicht mehr in der Schule gehabt hat. Und ich halte das bildungspolitisch nicht für einen großen Wurf, dass wir sehen: Das Handwerk schimpft darüber, dass sie einen Hauptschüler nicht mehr nehmen können, weil das Basiswissen fehlt. Und die Bildungspolitik antwortet darauf, dass wir den blöden Namen Hauptschule streichen und wir nennen sie jetzt ESA. Ich glaub da ist nicht viel mit gewonnen. Es dauert nur zwei Jahre, bis wir dann in der Industrie oder im Handwerk rausgekriegt haben: Das ist immer noch genau das Gleiche.

Philipp Hertel: Das heißt, Sie können Schüler mit einem ersten Schulabschluss nicht bei Hako unterbringen?

Frank Thielebein: Doch, das können wir schon. Das heißt es nicht. Wir haben jetzt deswegen in Bad Oldesloe angefangen, den Fertigungsmechaniker, den wir schon sehr lange in Waltershausen ausbilden, eben auch auszubilden. Als Antwort darauf, dass wir sagen: Damit hat ein Hauptschüler, der engagiert ist und der pfiffig ist, sehr gute Chancen oder der kann diesen Beruf bringen.

Philipp Hertel: Das heißt, ein mittlerer Schulabschluss ist der häufigste Schulabschluss unter den Azubis, die Sie haben. Ist das richtig oder sind sogar Abiturienten dabei? Wie ist da die Zusammensetzung?

Frank Thielebein: Ich würde so aus dem Bauch heraus sagen, dass der Schwerpunkt schon der Mittlere Schulabschluss ist. Das ist aber für mich nicht unbedingt ein Einstellungskriterium, sondern das mag sein, wenn mir jemand sehr gut gefällt, dass ich dem dann nahe lege, vielleicht doch nicht den dreieinhalbjährigen Beruf zu nehmen, sondern sich für einen dreijährigen zu entscheiden.

Philipp Hertel: Welche Rolle spielen bei Azubis Eltern heute aus Ihrer Sicht? Haben Sie noch etwas zu sagen bei den 16-17-Jährigen? Kommen sie über die auch an die Azubis selber ran, wenn’s mal nicht so läuft?

Frank Thielebein: Es ist sehr bedingt. Wie war das denn bei Ihnen in Ihrer Jugend? Haben Sie immer alles gemacht, was Mama gesagt hat, als Sie 17 waren?

Philipp Hertel: Selbstverständlich! Mama, falls du das hörst. Ja, es war alles toll. Nein, natürlich nicht. Klar, mir fehlt da die Erfahrung aus diesem jugendlichen Alter. Deswegen die Frage: Wenn Sie so einen 16-17-Jährigen vor sich haben, kommen da die Eltern noch mit zum Vorstellungsgespräch? Oder ist es vielleicht auch eine kulturelle Frage? Gibt es da Kreise, wo die Eltern wichtiger sind oder weniger wichtig? Ich stochere nur im Nebel.

Frank Thielebein: Das glaube ich nicht. Also ich sehe da zumindest keinen kausalen Zusammenhang zwischen Herkunft und Bildungsnähe noch sonst wie? Wir laden gerne die Eltern mit ein. Teilweise oder zum großen Teil sind die Auszubildenden ja noch minderjährig. Insofern müssen die Eltern mit unterschreiben. Und wir haben uns angewöhnt oder wir haben das mal zwei Jahre versucht, zur Vertragsunterzeichnung die Eltern einzuladen und denen das Werk, den Arbeitsplatz zu zeigen. Das ist ganz gut angenommen worden, ist aber auch jetzt pandemiebedingt unheimlich schwierig.

Philipp Hertel: Ja, klar, gut, das ändert sich hoffentlich eines Tages mal wieder in nicht absehbarer, in absehbarer Zukunft, ein schöner Versprecher. Heute, um das Thema Geld noch einmal zu streifen. Was verdient ein Azubi im ersten Lehrjahr? Wissen Sie das? Und ist das genug, aus Ihrer Sicht?

Frank Thielebein: Wow, das ist eine gemeine Frage. Also aus Sicht des Arbeitgebers, den ich ja vertrete, ist das mehr als genug. Also wir zahlen Tarif an allen drei Standorten. Das heißt, wir liegen deutlich über dem Handwerk. Mittlerweile geht ein Auszubildender an den tarifgebundenen Standorten mit einem guten Tausender im ersten Ausbildungsjahr nach Hause, auch wenn wir eigentlich diese Zahlen nicht gern veröffentlichen. Aber wir sind eben tarifgebunden oder an Tarif angelehnt. Ich bin da sehr zwiegespalten. Wenn natürlich der Auszubildende alleine leben will, dann ist ein Tausender recht wenig. Allerdings sind wir an allen drei Standorten doch in einer sehr ländlichen Struktur, wo viele der Auszubildenden auch noch zuhause wohnen. Und ich stelle dann fest oftmals, dass meine Auszubildenden, drittes, viertes Lehrjahr, ein dickeres Auto fahren als ich.

Philipp Hertel: Sie würden sagen, davon kann man ein Leben bestreiten. An Standorten, die sie haben,

Frank Thielebein: Wenn man alleine lebt, nicht. also ich bezweifle, dass man vom Tausender sich eine Wohnung leisten kann, gerade in Bad Oldesloe, was ja schon zum Hamburger Speckgürtel gehört, in Waltershausen steigen Mieten gerade auch ziemlich. Das ist zum alleine leben relativ wenig. Ich habe jetzt aber auch nicht vor Augen. Man kann ja z.B. Hilfen beantragen, also eine Ausbildungsförderung, wenn man allein lebt und damit sollte das eigentlich schon gehen. Ich seh halt als Vertreter eines Unternehmens auch immer: Ein Auszubildender ist ja in erster Linie was, was uns ziemlich viel kostet. Ein Ausbildungsplatz kostet also eine ganze Menge Geld und wir versuchen zwar, die Ausbildung sehr praxisorientiert durchzuführen in den Werken, sodass die schon im zweiten Lehrjahr auch mit in der Produktion arbeiten oder in der Produktion ausgebildet werden. Trotzdem ist es natürlich ein ziemlicher Geldfaktor, der bei der Ausbildung eine Rolle spielt.

Philipp Hertel: Das ist ein schöner Abschluss für mich zu fragen: Was tun Sie denn, um die Azubis, nachdem sie sie teuer ausgebildet haben, zu halten? Verlieren Sie viele? Oder schaffen sie es, die im Unternehmen zu halten?

Frank Thielebein: Mittlerweile schaffen wir das schon, die im Unternehmen zu halten. Wir haben jetzt auch mal angefangen, zum Beispiel junge Menschen, die gen Ende der Ausbildung sich entscheiden, weiter studieren zu gehen, denen haben wir ein duales Studium angeboten. Da sind wir grade dabei am Überlegen, ob wir das auch weiterhin so machen wollen oder ob das nicht unbedingt in der Unternehmensgröße, wie Hako sie an den drei verschiedenen Standorten hat, zielführend ist. In der Regel wollen die Leute bei uns arbeiten, weil ihnen das Betriebsklima gefällt. Also ich habe in den letzten 4 bis 5 Jahren eigentlich kaum welche gehabt, die gesagt haben nee, ich verlasse das Unternehmen, es sei denn sie übernehmen die Geschäftsnachfolge der selbstständigen Eltern oder sowas in der Richtung. Das ist auch primär unser Ziel, unseren eigenen Nachwuchs auszubilden und nicht einfach für eine Statistik oder für den Markt auszubilden.

Sie sind jetzt seit fast 30 Jahren im engen Kontakt mit Jugendlichen. Da liegt es natürlich nahe, sie zu fragen, ob es Konstanten gibt und was sie als Veränderung wahrnehmen. Was ist gleich geblieben bei den 16 bis 17-Jährigen, die Sie kennengelernt haben, seit den frühen Neunzigern.

Frank Thielebein: Spontan würde ich sagen Autos, Mädels.

Philipp Hertel: Und was ist anders heute? Wie nehmen Sie die wahr? Sind die sensibler, oder?

Frank Thielebein: Ich glaube, selbstständiger schon Stück. Als ich mich an meine Kindheit erinnere. Also wir sind doch allein durch damals andere Familienmodelle: In meiner Kindheit oder Jugend war das ja relativ selbstverständlich. Ein Familienteil geht arbeiten, dass andere Familienteil kümmert sich um Schularbeiten und ähnliches oder um den Hausstand, um die Aufzucht der Kinder. Die meisten der Eltern meiner Auszubildenden sind Doppelverdiener und so, dass die Jugendlichen schon ein Stück weit reifer, selbstständiger sind, als ich glaube, dass ich das gewesen bin oder meine Generation gewesen ist.

Philipp Hertel: Sie haben auch zehn Jahre mit Jugendlichen gearbeitet, die ein Drogenproblem hatten. Gibt es irgendetwas, was Sie aus dieser Zeit mit in die Azubibetreuung rüber gerettet haben? Irgendeinen Umgang, irgendeinen Trick? Irgendwie die Menschenkenntnis. Was kann man von dem einem fürs andere lernen?

Frank Thielebein: Generell glaube ich ein Verständnis für Belange von Jugendlichen, ganz pauschal gesagt, weil es prägt ja schon, so lange Zeit, sich mit Jugendlichen zu beschäftigen und festzustellen: Im Prinzip sind die Nöte der Jugendlichen nicht wesentlich anders, als meine gewesen sind. In der Drogenberatung ist das ähnlich gewesen wie in der Ausbildung, nur natürlich mit einem ganz anderen Zwang und mit einer großen Problematik dahinter. Was ich aus der Drogenberatung mitgenommen habe, ist ein pädagogisches Konzept, letztlich. Es gibt einen russischen Pädagogen, der selbstverwaltete Jugendhäuser gegründet hat und sagt: Die Gruppe erzieht im Prinzip und der Pädagoge steht nur im Hintergrund. Das ist ein Konzept, was wir in der Ausbildung auch versuchen, das wir moderieren und im Hintergrund notfalls eingreifen, wenn irgendwas schiefläuft. Aber in erster Linie sollen die Jugendlichen den Sinn für sich selber finden und die älteren Auszubildenden sollen die Jüngeren anleiten. Was im Umkehrschluss heißt: Die Älteren übernehmen schon in der Ausbildung Verantwortung. Das ist so ein bisschen das Prinzip, was ich aus meiner eigenen Ausbildung kenne. Also, erstes Lehrjahr durfte man nichts und musste alles machen. Man musste putzen und hat das unheimlich gehasst. Das regelt bei mir die Gruppe selber. Wer wann wie putzt, was sie dann sehr schnell feststellen ist, dass den Besen schwingen deutlich einfacher ist, als die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass es am Ende des Tages auch sauber ist. Und das glaube ich, prägt unheimlich, Eigenverantwortung zu übernehmen, weil ich sehr schnell innerhalb dieses Systems schon Verantwortung für andere übernehmen muss. Und das kann ich immer nur tun oder ich kann nur Anweisungen an andere geben, wenn ich mich selber vorbildlich verhalte. Das schult immens.

Philipp Hertel: Wenn Sie heute nochmal anfangen würden, nochmal 16 werden, was würden Sie machen? Würden Sie nochmal eine Ausbildung machen?

Frank Thielebein: Oh, die Frage habe ich mir noch gar nicht gestellt.

Philipp Hertel: Das ist gut. Das ist vielleicht besser. Ich weiß es nicht. Aber denken Sie dran, 40 Jahre zurück. Sie sind 15!

Frank Thielebein: Spontan würde ich sagen: Ja. Also wenn ich zumindest mich an meine Zeit erinnere. Ich hatte eine Freundin, die hatte gerade Abitur gemacht, da war ich schon in meiner Ausbildung, die erzählte mir mal irgendwann eines Abends, sie fährt am nächsten Tag in die Uni und guckt mal, was man so studieren kann. Das fand ich schon sehr befremdlich. Da hatten wir in der Realschule damals doch eine deutlich praxisnahere Ausbildung über Berufspraktika. Und mittlerweile finde ich toll, dass das Bildungssystem so durchlässig geworden ist, dass ich theoretisch mit dem Förderschulabschluss irgendwann auch ein Studium aufnehmen kann.

Philipp Hertel: Im August September beginnt das Ausbildungsjahr auch bei Hako. Haben sie schon alle zusammen?

Frank Thielebein: Für den Standort Waltershausen suchen wir noch zwei Logistiker, also Fachkräfte für Lagerlogistik und für den Standort Glindow suchen wir noch zwei Land- und Baumaschinen Mechatroniker. Aber sonst haben wir alle.

Philipp Hertel: Ist das ein besonders schwieriges Terrain dort oder ist der Beruf schwierig? Woran liegt es, dass das noch offen ist?

Frank Thielebein: Fachkraft für Lagerlogistik hat immer noch so ein bisschen den Ruf: „Kannst du Karre schieben, kannst du Arbeit kriegen.“ Es ist mittlerweile, ganz besonders vor dem Hintergrund Industrie 4.0, kommt es mir immer mehr so vor, dass wir als Mechaniker, die wir uns immer als die Krönung der Schöpfung gesehen haben, in Hintergrund treten und der Logistiker hält den ganzen Produktionsprozess in der Hand. Früher hat er einfach nur eine Palette hingestellt. Heute stellt er mir just in time das Bauteil hin, das ich innerhalb der nächsten 10 Minuten verbaue. Ich glaube, da gibt’s noch sehr viel Vorbehalte dagegen, weil dem haftet noch so ein bisschen der Lagerarbeiter an. Aber was wir explizit suchen, sind Menschen, die auch ein Potenzial haben, irgendwann eine Verantwortung zu übernehmen, eine Teamleitung zu übernehmen und in der Logistik eher mit ihrem Kopf dabei sind als mit ihren Händen.

Philipp Hertel: Sind Lehrjahre wirklich keine Herrenjahre?

Frank Thielebein: Diesen Spruch habe ich ehrlich gesagt noch nie verstanden. Ich nehm wahr, ich war jetzt letzte Woche gerade im Waltershausen unten und da nehme ich das gleiche wahr: Die Auszubildenden bei Hako haben schon Spaß dabei, überwiegend. Und das ist auch gut so. Natürlich verdient man hinterher deutlich mehr und muss sich ein Stück weit einschränken, aber man kommt gerade aus der Schule und ich weiß nicht, wie viel Taschengeld man heutzutage gibt. Aber mein Taschengeld war in der Regel in dem Alter, als ich noch mein letztes Schuljahr gemacht hatte, am Monatsvierten zu Ende.

Philipp Hertel: Ok, danke, Herr Thielebein, dass Sie heute da waren.

Frank Thielebein: Gerne, vielen Dank, dass ich da sein durfte.

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Titelfoto: © Moodmacher