13.05.2025 - Matthias Haft -4 MinutenArbeitswelt gestalten
Stress und Burnout nehmen seit Jahren zu – trotz steigender Awareness für das Thema. Vielleicht liegt es ja auch an den Tipps zur Prävention, die durchs Netz geistern, in Ratgeber-Büchern verabreicht und in Coachings gelehrt werden.
Liest man sich durch Ratgeber-Artikel zum Thema Burnout, kann man leicht den Eindruck gewinnen, für ihren Burnout wären vor allem diejenigen verantwortlich, die daran leiden. Sie sollten einfach besser auf sich aufpassen, mehr Sport treiben (gern auch während der Mittagspause), sie sollten mehr Nein sagen, ihr Mindset überdenken (zu ehrgeizig, zu verantwortungsbewusst), sich besser organisieren und Dinge auch mal abgeben, sie sollten neue Kraft aus dem Privaten schöpfen und ihr Tun reflektieren – kurz: sie sollten achtsam mit sich selbst sein.
Aber wie sinnvoll ist es, Stress oder gar Burnout als etwas zu betrachten, gegen das in erster Linie Betroffene etwas tun können? Letztlich wird doch so nur weiterer Druck aufgebaut. Dabei ist Druck eine der Ursachen für negativen Stress. Unternehmen werden zwar immer öfter in die Pflicht genommen, doch die Lösungen greifen oft zu kurz. Stress und Burnout müssen als das anerkannt werden, was sie im Arbeitsleben oft sind: Symptome. Und Symptome werden am besten bekämpft, indem man an die eigentlichen Ursachen herangeht.
Die üblichen Empfehlungen zur Burnout-Prävention
Regelmäßig erscheinen Umfragen, die immer wieder aufs Neue bestätigen, dass viele Arbeitnehmende gestresst sind oder sogar an einem Burnout leiden. Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitsfälle aufgrund von Burnout steigt seit 20 Jahren kontinuierlich. Laut Fehlzeiten-Report gab es 2023 in Deutschland 4,7 Millionen Krankheitstage wegen Burnout-Erkrankungen. Eine dramatische Entwicklung, bei der man sich die Frage stellt: Wieso verbessert sich nichts, obwohl das Thema seit Jahren sehr präsent ist, mit Studien belegt und in Ratgebern abgedeckt?
In der Regel richten sich Empfehlungen dazu, wie Stress und einem möglichen Burnout vorgebeugt werden kann, an Individuen. Arbeitnehmende erfahren, dass Sie sich um ihre Work-Life-Balance kümmern und Pausen einhalten sollten. Vielleicht ist das Problem auch die eigene schlechte Selbstorganisation. Dann muss man natürlich dort zuerst ansetzen. Und eine offene Kommunikation kann wahre Wunder bewirken. Wenn es schon etwas akuter wird, darf es ruhig auch eine Schulung zum Thema Stressbewältigung und Burnout-Prävention sein. Wichtig ist natürlich auch, Sport als Ausgleich zu betreiben. Eine gesunde Ernährung versteht sich sowieso.
Nun kann man diese Empfehlungen natürlich sämtlich blind unterschreiben: Schaden wird das alles nicht. Und womöglich hilft es sogar, die ganz akuten Belastungen zu reduzieren. Aber all diese Empfehlungen haben gemeinsam, dass sie die alleinige Verantwortung dem Individuum übertragen, das ja bereits ins Schlingern geraten ist. Immer den Ausgleich – mehr und bessere Kommunikation und Planung, mehr Sport, mehr Schulung, mehr Gemüse – herstellen zu müssen, während die Arbeitssphäre sich womöglich stetig weiter ausdehnt, hört sich nicht nur nach Stress an, sondern ist auch Stress, dauerhaft und zunehmend.
Wieso Tipps zur Stressvermeidung meistens zu kurz greifen
Das Grundproblem gängiger Empfehlungen zur Burnoutvorbeugung und -bewältigung ist ihr isolierter Charakter. Die Organisation, in der Stress entsteht, spielt nur selten eine Rolle. Verbesserungsvorschläge, die sich an Arbeitgeber richten, sind rar und oberflächlich und erschöpfen sich zumeist darin, den eigenen Mitarbeitenden ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sie das, was Arbeitnehmende zur Stressprävention tun sollten, auch leben können: Arbeitgeber sollen Sportkurse bezuschussen und gesundes Essen in der Kantine anbieten, sie sollen Flexibilität ermöglichen und eine Kommunikationen fördern, die Konflikte von vornherein vermeidet, sie sollen ihre Belegschaften auf Anti-Stress-Schulungen schicken. Und wieder: Daran ist nichts falsch. Aber ursächliche Probleme werden auch damit oft nicht gelöst.
Natürlich können Menschen, die sich weder fortbilden noch an ihren Soft-Skills arbeiten, sich ungesund ernähren und von Projekt-Management keine Ahnung haben, gestresst sein und damit dazu beitragen, dass auch in Teams der Stresspegel steigt. Aber Stress wird es auch dann geben, wenn alle nach bestem Gewissen arbeiten. Denn Stress entsteht nicht nur durch schlechte Zusammenarbeit und Kommunikation, sondern in vielen Fällen ganz einfach durch unrealistische Ziele, für die die notwendigen Ressourcen nicht zur Verfügung stehen.
Burnout-Prävention mit dem Blick fürs Ganze

Um Stress in der Belegschaft und Krankschreibungen aufgrund von Burnout zu vermeiden, ist es also angeraten, zurückzutreten, um das Gesamtbild erfassen zu können. Dabei wird nämlich oft deutlich, dass bereits die unternehmerischen Ziele Probleme mit sich bringen: Sie sind zu hochgesteckt und können vom aktuellen Personal nicht erreicht werden. In einer solchen Situation hilft dann auch kein Anti-Burnout-Kurs, denn der Druck zur Zielerreichung wird permanent weitergegeben und löst sich nicht auf, nur weil jemand lernt, mit dem Stress besser umzugehen und jetzt auch mal Nein sagt. Denn das Unternehmensziel wurde ja nicht in Frage gestellt und bleibt bestehen. Viele Organisationen tendieren dazu, Ziele weiterzuverfolgen, auch wenn sie auf interne Widerstände stoßen. Das Ziel muss nun eben jemand erbringen, der nicht Nein sagt.
Von der Kür zur Pflicht
Alle Tipps, die im Rahmen dieses Artikels genannt wurden, sollten im Personalmanagement eines Unternehmens eine Rolle spielen. Denn sie tragen zu einem gesunden Arbeitsumfeld und dadurch zur Personalsicherung bei. Aber sie sollten als Kür verstanden werden: Unbedingt notwendig für langfristigen Erfolg in der Belegschaft, aber zwecklos, wenn die Pflicht nicht passt. Die Pflicht, das ist der Abgleich von Zielen und Ressourcen. Deswegen sollten Arbeitgeber unternehmerische Ziele aufstellen, die auch erreichbar sind. Ein transparentes und nichts beschönigendes Reporting von unten nach oben ist eine notwendige Grundlage, um die Frage zu beantworten: Welche Ziele können wir mit unserem Personal erreichen? Soll es mehr sein, braucht es mehr Leute. Wie viel mehr und an welchen Stellen können datengetriebene Unternehmen etwa im Rahmen ihrer HR-Analytics ermitteln.
Arbeitgeber, die auf diese Weise Verantwortung für ihr Personal übernehmen, reduzieren den Stress in der Belegschaft. Das tun sie flächendeckend, nicht punktuell mit einzelnen Maßnahmen, die davon abhängen, ob Betroffene sie in Anspruch nehmen oder nicht. Stress, der dann noch in der Belegschaft vorhanden ist, lässt sich mit dem Programm der Kür bekämpfen. Übrigens: Zu viel Stress sorgt für schlechtere Leistungen. Arbeitgeber, die wirkungsvoll den Stress im eigenen Haus verringern, bekommen Personal, das mehr leisten kann. So sind dann vielleicht auch die ursprünglich gesteckten Ziele wieder erreichbar.