Mit Intrapreneurship gegen den Fachkräftemangel im Mittelstand

Die Beteiligung von Mitarbeitenden kann ein Mittel im Kampf gegen den Fachkräftemangel sein. Im Interview erläutert Sven Neumann, wie Unternehmen vorgehen können.


28.02.2023 - Sven Neumann, Matthias Haft -7 MinutenArbeitswelt gestalten

Der Fachkräftemangel wird Unternehmen in Zukunft noch stärker herausfordern als bisher. Unternehmen müssen daher neue und kreative Ansätze nutzen, um auch zukünftig Fachkräfte zu gewinnen und zu binden. Die Entwicklung von Mitarbeitenden zu Mitunternehmenden ist ein möglicher Transformationsansatz. Im Interview erklärt Sven Neumann, Transformationsexperte der Startify GmbH, wie Beteiligungen auch in traditionelleren und komplexeren Strukturen umgesetzt werden können.

Erfahrungsgemäß fordert der Fachkräftemangel in Deutschland besonders vom Mittelstand und von Familienunternehmen viel Kreativität und Offenheit dafür, neue Wege zu identifizieren und auch zuzulassen. Anlässe wie die Förderung einer neuen Idee, die Veränderung der Führungs- und Innovationskultur oder die Unternehmensausgründung eignen sich besonders gut, um Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, nicht nur Verantwortung zu übernehmen, sondern auch zum Intrapreneur, also zum Mitunternehmenden, zu werden.  Die Beteiligung von Mitarbeitenden am Unternehmen, besonders im Rahmen von Ausgründungen, ist ein solch neuer Weg, die Unternehmenskultur zu transformieren und die eigene Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern. Nur wenn Unternehmen in Zukunft auch bereit sind, unkonventionellere Wege der Mitarbeitergewinnung und -bindung zu beschreiten, können sie den Wandel aktiv gestalten.

Corporate Entrepreneurship: ein unkonventioneller Weg zur Begegnung des Fachkräftemangels


Aktuell finden Mitarbeiterbeteiligungen im Mittelstand noch geringe Aufmerksamkeit. Nur wenige innovative Konzerne und Mittelständler setzen sie ein. Bei Start-ups sind Mitarbeiterbeteiligungen hingegen bereits längst etabliert. Ein Grund dafür ist, dass es für junge Unternehmen einfacher ist, Fachkräfte am Unternehmen zu beteiligen, da es u. a. weder gefestigte Strukturen noch eine etablierte Kultur im Unternehmen gibt. Doch wie können auch traditionelle Familien- und Mittelstandsunternehmen Mitarbeiterbeteiligungen gewinnbringend in ihrem Personal- und Innovationsmanagement nutzen? Faktor A hat bei Sven Neumann nachgefragt.

Porträtfoto Sven Neumann
Foto: © Sven Neumann

Faktor A: Welche Formen der Mitarbeiterbeteiligung gibt es?
 
Sven Neumann: In der Theorie gibt es virtuelle und tatsächliche Mitarbeiterbeteiligungen. Virtuelle Beteiligungen können dabei – vereinfacht ausgedrückt – auch als Erfolgsbeteiligung verstanden werden. Bei Start-ups kommt dies oft beim sogenannten built-to-sell-Modell vor, bei dem die Beschäftigten am Erlös des Exits, also dem Verkauf des Unternehmens, beteiligt werden. Im Mittelstand kann alternativ auf ein Incentivierungssystem gesetzt werden, bei dem ergänzend zum festen Gehalt Boni gezahlt werden: Somit partizipieren auch die Mitarbeitenden am Unternehmenserfolg. Über die individuellen Leistungen und die des gesamten Teams werden die Mitarbeitenden zu Mitunternehmenden bzw. Intrapreneuren. Unter tatsächlichen Beteiligungen werden dagegen Kapitalbeteiligungen der Mitarbeitenden am Unternehmen verstanden. Beschäftigte halten dann beispielsweise Geschäftsanteile am Unternehmen selbst oder an einem neu gegründeten Spin-off.

Und welche Rolle spielen Beteiligungen bei einer Ausgründung?

Bei der Ausgründung einer neuen Idee, zum Beispiel in Form eines Spin-offs, können qualifizierte Fachkräfte die Möglichkeit erhalten, die Idee mithilfe ihres Fachwissens sowie ihrer Branchenkompetenz voranzutreiben und Verantwortung im Unternehmen zu übernehmen. Dabei eignen sich beide Formen der Beteiligung, um aus Mitarbeitenden Intrapreneure zu machen. Ausgründungen aus dem Mittelstand genießen zudem ähnliche Vorteile gegenüber etablierten Unternehmen wie Start-ups. Denn die Förderung von Mitunternehmertum im Sinne eines Corporate Entrepreneurships erlaubt es, eine Unternehmenskultur zu formen, die von der Belegschaft selbst kreiert und getragen wird. Und so kann die Identifikation mit dem Unternehmen gesteigert und die Arbeitgebermarke gestärkt werden. Auf diese Weise werden Fachkräfte langfristig an das Unternehmen gebunden.

Umsetzung von Corporate Entrepreneurship bei der ICONTEC GmbH

Gehen wir mal in die Tiefe: Haben Sie ein gutes Beispiel aus Ihrer Arbeit als Transformationsexperte an der Hand?
 
Das habe ich. Die ICONTEC GmbH mit Sitz im thüringischen Ilmenau hat einen eigenen Corporate-Entrepreneurship-Ansatz erfolgreich entwickelt und umgesetzt. Dabei hatte ICONTEC zwei Ziele verfolgt: Einerseits qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen und langfristig zu binden und andererseits die eigene Unternehmenskultur nachhaltig zu transformieren. 

Die Technologieberatung ist als Ausgründung im Zuge einer Unternehmensnachfolge entstanden. Sie berät große Familienunternehmen und Konzerne bei der digitalen Transformation. Bei der Gründung des Unternehmens war es ein zentrales Anliegen, das Verantwortungsbewusstsein und Engagement der Mitarbeitenden gleich von Beginn an zu stärken. Dazu wurden umfassende strategische und auch operative Entscheidungen gemeinsam getroffen, z. B. zur Gestaltung des Unternehmensleitbildes, der Vision und der Organisationsstruktur. 

Wie genau wurden diese Entscheidungen getroffen?

Die Unternehmensführung richtete regelmäßige Strategie- und Teamworkshops sowie Einzel- und Gruppen-Coachings ein. So konnte der Fokus auf die Stärken der Teams und der Individuen gelegt werden. Hierfür wurde ein erweiterter Führungskreis um den Kreis der Gesellschafter gebildet. Über umzusetzende Maßnahmen hat das Team entschieden. Beschlüsse erhalten dadurch eine höhere Akzeptanz. Und die braucht es auch, damit die Belegschaft dann konsequent umsetzen kann. Jeder Mitarbeitende und jedes Mitglied des Führungsteams übernimmt die Verantwortung für den Prozess und das Ergebnis der Umsetzung. Das Prinzip der Selbstverwaltung und Selbstverantwortung erzeugt eine enorme positive Energie und Verbindlichkeit im Unternehmen. 

Welche Effekte hat das Unternehmen damit erzielt?

Die Beteiligung einzelner Führungskräfte als Gesellschafter hat eine völlig neue Unternehmens- und Führungskultur bei ICONTEC geschaffen. Die Teams bringen sich jetzt proaktiv in Entscheidungsprozesse ein und signalisieren der Unternehmensführung die Bereitschaft, Verantwortung konsequent übernehmen zu wollen. So ist beispielsweise die Corporate Identity ohne persönliches Zutun des geschäftsführenden Gesellschafters entstanden. Diese und andere Möglichkeiten, sich direkt an der Entstehung des neuen Unternehmens und an seiner Weiterentwicklung zu beteiligen, haben zu einer hohen Mitarbeitermotivation und Identifikation geführt. 

Und was sagt der Nachwuchs?

Auch gegenüber dem Nachwuchs konnte sich ICONTEC stärker positionieren: Das Unternehmen ist in der Region zu einem attraktiven Arbeitgeber für junge Fachkräfte geworden.

Über Sven Neumann und Startify

Sven Neumann ist Innovations- und Transformationsexperte der Startify GmbH. Mit seinem Think Tank impacts4u sowie dem Kompetenzzentrum competence2u hat er sich auf die Themen Urban-Cargo-Mobilität, Kreislaufwirtschaft und Logistik sowie innovative Weiterbildungskonzepte für einen disruptiven Arbeitsmarkt fokussiert.
 
Die Startify GmbH hat sich auf die Entwicklung und Umsetzung von Corporate-Entrepreneurship-Initiativen im Mittelstand und in Corporates spezialisiert, um anspruchsvolle Innovations-, Wachstums- und Transformationsprozesse zu initiieren und zu begleiten.


Titelfoto: ©AdobeStock/Gorodenkoff