14.10.2025 - Marta Potužníková-König -4 MinutenArbeitswelt gestalten
Im bayerischen Roding klingelt um 02:55 Uhr der Wecker von Ulli Kraus. Der Bäcker stellt zuerst den Teig her, parallel schaltet er die Kaffeemaschine ein. Zum Frühstück gibt es frischgebackene Brötchen und um 11 Uhr ist Feierabend. So geht es bei Ulli Kraus jeden Tag. Seit 2010 betreibt er mit seiner Frau eine Familienbäckerei in dritter Generation.
Der Traditionsbetrieb wurde 1950 gegründet; beschäftigt sind hier 22 Mitarbeitende, davon 5 aus dem Ausland im Verkauf und in der Backstube: 3 Auszubildende aus Kirgistan, eine Mitarbeiterin aus Kasachstan und ein Mitarbeiter aus der Ukraine. Damit sie sich gut integriert fühlen, „ist eine gelebte Willkommenskultur in unserem Betrieb selbstverständlich“, sagt Kraus. Über seine Erfahrung berichtet er im aktuellen Interview für Faktor A.
Faktor A: Was bedeutet für Sie eine gelebte Willkommenskultur?
Ulli Kraus: Eine gelebte Willkommenskultur bedeutet, dass alle freundlich sind, dass es genug Austausch gibt, und zwar nicht nur während der Arbeitszeit. Die Willkommenskultur findet nicht nur im Betrieb statt - wir begleiten unsere ausländischen Mitarbeitenden auch im Alltag, z. B. beim Eröffnen eines Bankkontos oder in der Freizeit.

Faktor A: Welche Themen haben Sie im Vorfeld beschäftigt, um Ihre Beschäftigten beim Ankommen im Betrieb bestens zu unterstützen?
Ulli Kraus: Wenn ich an unsere Auszubildenden aus Kirgistan denke, dann war es eindeutig die Wohnsituation. Wir haben sie in Kooperation mit der Arbeitsagentur und dem Landkreis gewinnen können und haben die Auszubildenden bei der Wohnungssuche unterstützt. Außerdem habe ich mir Gedanken gemacht, damit sie sich an unser Betriebsklima gewöhnen – dazu gehört nicht nur unsere Sorgfältigkeit und Pünktlichkeit, sondern auch Spaß bei der Arbeit.
Faktor A: Was war dabei die größte Herausforderung und wie sind Sie damit umgegangen?
Ulli Kraus: Die Herausforderung war die Unterkunft. Ich hatte Glück, weil wir in unserem Haus eine leere Wohnung hatten. Wir haben sie mit eigenem Investment renoviert und eine WG für unsere Auszubildenden eingerichtet. Die Sprache ist die nächste Herausforderung - nicht unbedingt, wenn es um Fachbegriffe, sondern um Gefühle geht. Sie haben einen anderen Humor, es ist auch schwierig für sie, unsere „Du-Kultur“ anzunehmen. Das musste ich wieder lernen, habe es aber offen übernommen.
Faktor A: Haben Ihre ausländischen Mitarbeitenden eine feste Ansprechpartnerin oder einen festen Ansprechpartner im Betrieb?
Ulli Kraus: Meine Frau und mich. Außerdem haben wir ausgemacht, dass sie sich an eine unserer Mitarbeiterinnen wenden können. Sie ist selber Mutter von einer gleichaltrigen Tochter. Wenn es bei uns in der Arbeit stressig ist, ist es immer gut, wenn sie sich nicht nur an ihren Vorgesetzten, sondern auch an eine vertraute Kollegin wenden können.
Faktor A: Haben Sie Ihre Beschäftigten zum Thema Willkommenskultur sensibilisiert?
Ulli Kraus: Nicht speziell, ich habe einfach nur gesagt, sie sind jetzt da und wir brauchen sie. Wir haben in der Vergangenheit schon Mitarbeitende aus verschiedenen Ländern beschäftigt. Bei uns wurde immer eine Willkommenskultur gelebt, sie ist unser Alltag. Die Mitarbeitenden sind bei uns alle gleichgestellt, nicht mehr, nicht weniger. Unsere ausländischen Kolleginnen und Kollegen sind durch ihre nette Art und Hilfsbereitschaft beliebt, andere Beschäftigte aus der Bäckerei gehen gerne mit ihnen Essen oder nehmen sie zum Sport mit.
Zitat:„Der Wille sich zu integrieren, erleichtert das eigene Leben.“
Faktor A: Die Sprache ist ein wichtiger Baustein bei der Integration – wie unterstützen Sie die Entwicklung der Deutschkenntnisse?
Ulli Kraus: Sie haben schon gute Deutschkenntnisse von der Schule. Ich versuche eher, ihnen Dialekt beizubringen, indem ich bayerische Wörter erkläre. Das ist wichtig für die Integration. Außerdem sprechen wir mit ihnen viel, auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen das. Dadurch verbessern sie sich. Es gibt zwar Sprachkurse, daran sind sie aber nicht wirklich interessiert, deswegen versuchen wir es, bei uns abzudecken. Mir ist wichtig, dass sie nicht in eine andere Sprache ausweichen und die Kommunikation nicht über ein KI-Tool oder andere Übersetzer läuft – lieber sprechen und schreiben mit Fehlern, aber selber.
Faktor A: Was würden Sie Betrieben ans Herz legen, die keine oder wenig Erfahrung mit Willkommenskultur haben? Wie würden Sie sie ermutigen?
Ulli Kraus: Sie sollen offen sein und ihren eigenen Horizont erweitern, es wird sich lohnen. Es ist eine Chance, Fachkräfte zu gewinnen. Wir bekommen keine Leute mehr, dann müssen wir sie selber ausbilden. Sie sind eine Bereicherung für das Betriebsklima. Unsere Auszubildenden haben noch keine Minute in der Arbeit gefehlt, sie sind hoch motiviert, sich weiterzuentwickeln. Sie machen ihre Arbeit gerne und sind bei Kunden beliebt. Ein Lächeln kann viel bewirken, das spüren auch die Kunden.
Faktor A: Wenn Betriebe Unterstützung bei der Willkommenskultur benötigen – wer hilft am besten weiter?
Ulli Kraus: Bei uns in Roding gibt es einen Integrationsverein namens Multikulti, eine gute Ansprechpartnerin ist auch die Handwerkskammer. Eine tolle Hilfestellung bieten die Bundesagentur für Arbeit und manche Bildungsträger. Ich empfehle außerdem den Betrieben, Gespräche zu suchen, und zwar branchenunabhängig: Andere Betriebe, die Erfahrung haben und die wissen, wie es läuft, geben gerne Auskunft.
Faktor A: Und die Freizeit – wie unterstützen Sie Ihre Mitarbeitenden bei der Integration außerhalb der Arbeitszeit?
Ulli Kraus: Am Anfang war es wichtig, sie an die Hand zu nehmen und zu zeigen, was es bei uns gibt – Stadtbesichtigung, Sportangebote. Aber ungezwungen. Wir waren auf einem Volksfest zusammen, im Fußballverein – da bin ich selber aktiv. Mein ukrainischer Mitarbeiter unterstützt ebenfalls im Fußballverein. Das Ganze erleichtert die Integration. Heute unternehmen sie gerne auch etwas alleine, machen Ausflüge. Da bin ich froh, weil sich diese Selbstständigkeit in der Arbeit widerspiegelt – sie sind offen und selbstbewusst, suchen nach Lösungen und treffen Entscheidungen.
Vielen Dank für das Interview Herr Kraus und weiterhin alles Gute für Ihren Familienbetrieb!

