Mit beruflicher Qualifikation zum Hochschulabschluss

Dieser Artikel beschreibt:

Mehr als 70.000 Menschen studieren ohne Hochschulreife an einer deutschen Hochschule – und jährlich werden es mehr. Dr. Sigrun Nickel vom Gemeinnützigen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) erklärt im Interview, welche Voraussetzungen man mitbringen muss und welche Studiengänge besonders beliebt sind.

Tipp:Gut zu wissen: Die Expertin Dr. Sigrun Nickel leitet den Bereich Hochschulforschung am Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Die promovierte Sozialwissenschaftlerin beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung sowie mit Fragen der Hochschulgovernance und Qualitätssicherung. Zuvor war sie unter anderem in der Wissenschaftspolitik und im Hochschulmanagement tätig.

Wie studiert man ohne Hochschulzugangsberechtigung?

Dr. Sigrun Nickel: Man braucht dafür mindestens eine abgeschlossene Berufsausbildung. Mit Ausnahme von Berlin, Bremen, Hessen und Rheinland-Pfalz müssen in allen Bundesländern zusätzlich noch zwei bis drei Jahre Berufserfahrung nachgewiesen werden, dann wird das in der Regel mit der fachgebundenen Hochschulreife gleichgesetzt. Das bedeutet, es kann ein Fach, das der Ausbildung inhaltlich nahesteht, studiert werden. Vor der Zulassung an der Hochschule ist je nach Bundesland das Bestehen einer Eingangsprüfung oder das Absolvieren eines Probestudiums nötig. Wer jedoch zusätzlich zur Berufsausbildung eine Aufstiegsfortbildung, beispielsweise zum/zur Meister/in, Fachwirt/in oder Techniker/in, absolviert hat, kann – meist nach einem Beratungsgespräch an der Wunschhochschule – einen Zugang erhalten, welcher der allgemeinen Hochschulreife entspricht. Damit stehen Studienmöglichkeiten in allen Fachrichtungen offen. In künstlerischen Studiengängen kann man den fehlenden Schulabschluss durch ein besonders gutes Ergebnis bei der künstlerischen beziehungsweise studiengangspezifischen Eignungsprüfung kompensieren. Das nennt sich dann „Nachweis der besonderen künstlerischen Begabung“.

Sind die Regelungen dazu in allen Bundesländern gleich?

Dr. Sigrun Nickel: Jedes Bundesland hat eigene Zugangskriterien zu Hochschulen. In Hamburg hat die erste Hochschule schon im Jahr 1950 Studierende ohne Abitur zugelassen. In Niedersachsen geht das seit den 1970er-Jahren. Im Jahr 2009 hat die Kultusministerkonferenz dann alle Länder selbstverpflichtet, Regelungen für beruflich Qualifizierte zu treffen. Die Umsetzungen sind jedoch unterschiedlich: So kann man beispielsweise in Berlin, Bremen, Hessen und Rheinland-Pfalz mittlerweile auch mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung ohne weitere Berufserfahrung zum Studium zugelassen werden.

Wie sind die Voraussetzungen in meinem Bundesland?

Dr. Sigrun Nickel: Im Webportal studieren-ohne-abitur.de des CHE gibt es neben allgemeinen Informationen zum Thema Bundesländerseiten, auf denen die einzelnen Regelungen zu finden sind. Wenn man sich eine Hochschule ausgesucht hat, empfehle ich, dort Kontakt aufzunehmen. In einem Beratungsgespräch lässt sich individuell klären, welche Schritte für eine Zulassung nötig sind.

Nutzen beruflich Qualifizierte den Hochschul-Zugang?

Dr. Sigrun Nickel: Die Zahl der Studierenden ohne Abitur ist mittlerweile konstant. Waren im Jahr 2010 noch gut 25.000 ohne Abitur eingeschrieben, waren es 2023 rund 70.000 Studierende. Auch die Anzahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger ist gestiegen, von gut 9.000 im Jahr 2010 auf rund 12.700 im Jahr 2023. Rund 54 Prozent davon waren Frauen. Dass das Studium ohne Abitur erfolgreich absolviert werden kann, zeigt die Anzahl der Abschlüsse: 2010 erwarben 2.856 beruflich Qualifizierte, 2023 schon rund 9.500 ohne Abitur einen Hochschulabschluss. Insgesamt wurden seit dem Beschluss der Kultusministerkonferenz zum „Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Bewerber ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung“ (KMK 2009) mehr als 95.000 beruflich qualifizierte Hochschulabsolventinnen und -absolventen erfolgreich in den Arbeitsmarkt entlassen. Das unterstreicht den Erfolg dieses Zugangswegs.

In welchen Studiengängen wird viel ohne Abitur studiert?

Dr. Sigrun Nickel: Am beliebtesten sind Studiengänge in den Wirtschaftswissenschaften, im Sozialwesen und den Ingenieurwissenschaften, hier vor allem Informatik. Aber auch in den Gesundheitswissenschaften ist eine steigende Nachfrage zu beobachten, was mit der verstärkten Akademisierung der Gesundheitsberufe zusammenhängt. Selbst in den Medizin- und Pharmaziestudiengängen gibt es einen Anstieg. Im Jahr 2023 studierten 1.039 Personen ohne Abitur Medizin und Zahnmedizin – so viele wie noch nie. Weitere 265 Personen waren für Pharmazie eingeschrieben. Insgesamt sind die anwendungsorientierten Fachhochschulen bei Studierenden ohne Abitur am beliebtesten: 2023 studierten hier 71,3 Prozent, während 24,4 Prozent an Universitäten und 4,3 Prozent an Kunst- oder Musikhochschulen eingeschrieben waren.

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